Wolfgang Kubicki: Wenn ich Bundeskanzler wäre…
02.11.2020
Wolfgang Kubicki / Foto: © FDP
Im großen finanzwelt-Interview spricht der FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit uns über das Krisen-Management der Bundesregierung und über sein Corona-Konzept. Außerdem verrät uns der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, was ihm gerade Hoffnung macht.
finanzwelt: Sie halten die neuen Corona-Beschlüsse in Teilen für rechtswidrig und rufen die Betroffenen zu Klagen dagegen auf. Was genau ist daran rechtswidrig? Wolfgang Kubicki: Dass sich die Beschlüsse der Runde der Regierungschefs auf verfassungsrechtlich wackligem Boden befinden, hat sich bereits in zwei OVG-Entscheidungen offenbart. Am selben Tag entschied das OVG des Saarlandes, dass die Vorverlegung der Sperrstunde auf 23 Uhr rechtswidrig ist. Am Tag danach entschied das OVG Niedersachsen ähnlich. Wenn schon die Sperrstunde in der Gastronomie als nicht erforderlich im Hinblick auf das Infektionsgeschehen gesehen wird, lassen sich die Komplettschließung und der damit verbundene schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit nicht begründen.
finanzwelt: Wie sähe Ihr Konzept aus, wenn Sie Bundeskanzler wären? Kubicki: Als Bundeskanzler würde ich mich zunächst an unsere Rechts- und Verfassungsordnung halten. Die Runde der Regierungschefs, die weitreichende Grundrechteinschränkungen beschlossen hat, ist verfassungsrechtlich ohne Grundlage. Die Bundeskanzlerin hat in dieser Frage rechtlich überhaupt keine Kompetenz.
Mein Konzept wäre, zunächst die vulnerablen Gruppen besonders zu schützen – insbesondere durch den Einsatz einer regelmäßigen Testung von Heimmitarbeitern sowie die konsequente Nutzung von FFP2-Masken. Außerdem wäre es eine Aufgabe der Exekutive, dafür zu sorgen, dass die bereits bestehenden Regelungen zur Kontaktbeschränkung, Abstandswahrung, für die Bereithaltung von Hygienekonzepten konsequent durchgesetzt werden. Es wäre dringend an der Zeit, den exekutiven Krisenmodus zu verlassen und den Parlamenten wieder die Entscheidungsprärogative zurückzugeben. Die FDP-Bundestagsfraktion hat hierzu einen entsprechenden Antrag eingebracht (Drs. 19/23689). Und, mindestens genauso wichtig: Ich würde es unterlassen, die Corona-Politik ständig mit Angst zu untermalen. Jedem ist bewusst, dass die Zeiten schwer werden. Da wäre es auch die Aufgabe eines Regierungschefs, den Menschen eine Perspektive und Mut zu geben.
finanzwelt: Geht es bei diesen drastischen Maßnahmen überhaupt noch um den Schutz der Bürger? Oder geht es darum, die Überforderung der Regierungen durch Striktheit und Strenge zu kaschieren? Kubicki: Ich unterstelle der Bundesregierung keine boshaften Motive. Ich glaube jedoch, dass sich die Bundeskanzlerin verrannt hat. Denn tatsächlich wurden jetzt Maßnahmen ins Werk gesetzt, die auch nach Auffassung des Robert Koch-Instituts nichts bringen – wie etwa die Schließung von Gaststätten und Restaurants. Deren Betreiber haben in den vergangenen Monaten sehr viel Energie und Geld investiert, um funktionierende Hygienekonzepte umzusetzen. Denen sagen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten jetzt: Ist uns egal, dass es funktioniert – ihr müsst jetzt solidarisch sein. Ich halte es für unsolidarisch, dass derart in die Berufsfreiheit eingegriffen wird, ohne eine fachliche Begründung zu geben. Der Eingriff kann ja durchaus begründet sein – aber eine solche Erklärung, die auch vor Gerichten standhält, gibt es bis heute nicht. Das halte ich für das Ansehen unserer staatlichen und Rechtsordnung für gefährlich.
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