Warum nicht beides?

12.06.2023

EU-Kommissarin Mairead McGuinness - Foto: © European Parliament (2020)

Das Provisionsverbot wirkt wie eine Gestalt im Dunkeln: Selbst in der EU-Kommission – dem Verfechter eben dieses Verbots – gibt es mittlerweile Stimmen dagegen. Wartet das Provisionsverbot in einer dunklen Gasse darauf, endlich zuschlagen zu können oder wartet es hinter der Bühne auf seinen großen Moment im Rampenlicht? Die Profis der Branche sind sich der Folgen einer Entscheidung dafür bewusst und argumentieren lautstark dagegen. Auch der Vorstandsvorsitzende von Jung, DMS & Cie., Dr. Sebastian Grabmaier, teilt diese Ansicht.

Wie finanzwelt bereits im April berichtete, scheint das Thema Provisionsverbot vorerst auf Eis gelegt. EU-Kommissarin Mairead McGuinness betonte auf der Konferenz in Stockholm, sie wolle sich stattdessen für eine höhere Transparenzpflicht und verschärfte Kontrollen einsetzen. Woher kommt der Sinneswandel, wenn es zuvor schien, als bestünde die EU-Kommission darauf und überhörte dabei geflissentlich die Warnungen der Branchenkenner? „Ein Provisionsverbot scheint ein sozialistischer Traum zu sein, der aus populistischen Gründen immer wieder auftaucht“, erläutert Dr. Sebastian Grabmaier.
„Denn billige Finanzprodukte scheinen für manchen Politiker attraktiver zu sein als passende. Die Kosten einer fehlenden Beratung für den Verbraucher werden hier stets unter den Tisch gekehrt. Der aktuelle Grund ist allerdings, dass die Kommissarin Mairead McGuinness Stimmen für die Ministerpräsidentenwahl in Irland gewinnen will. Glücklicherweise ist ihr jedoch aufgrund der Opposition aller großen Mitgliedsstaaten rechtzeitig klar geworden, dass ihre Initiative in der EU auf jeden Fall fruchtlos bleibt. Folgerichtig hat die EU auf ein Provisionsverbot nun verzichtet.“

Dass Verbraucher eine unabhängige und qualifizierte Beratung verdienen, ist keine radikale Aussage. Zumindest sollte es keine sein. Auch AfW-Vorstand Norman Wirth äußerte sich im Vormonat in einer Pressemitteilung des Verbandes dazu. Letztlich käme es auf die Umsetzung an, allerdings seien mehr Bürokratie und Verbote sicherlich nicht hilfreich.

Tür und Tor für Altersarmut?

Die Altersarmut ist bereits ein bekanntes Problem. Es ist ein Worst-Case-Szenario, ein Gedanke, der unausweichlich ist. Ist im Fall eines solchen Verbots überhaupt eine Versorgung aller sozialen Schichten möglich, fragt man sich. Dr. Grabmaier sieht die Hauptgründe für Altersarmut darin, dass viele Menschen in ihrem Erwerbsleben aufgrund eines zu geringen Gehalts zu wenig in die Versorgungskassen eingezahlt haben.
„Etwa weil sie oft in Teilzeit gearbeitet haben, im Niedriglohnsektor beschäftigt waren oder Kinder versorgen mussten – und somit nur geringe Rentenansprüche erworben haben.“
Ein Lösungsansatz könne sein, so Dr. Grabmaier weiter, Anreize für die private Vorsorge zu schaffen – etwa durch Steuerbefreiungen oder staatliche Zuschüsse. „Wie beispielsweise in der viel gescholtenen Riester-Rente angelegt. Diese Systematik könnte ausgebaut und durch Wegfall des Garantieerfordernisses reformiert werden. Zudem könnte man geringere Einkommen deutlicher von Steuern und Abgaben entlasten, um Liquidität für eine betriebliche und private Rente freizumachen.“

In einem Kommentar Anfang April bestätigte Dirk Schmidt-Gallas, Senior Partner bei Simon-Kucher & Partners, Strategy & Marketing Consulting, dass ein Provisionsverbot mittelfristig einen Großteil der Bevölkerung in die Armut stürzen würde, denn es lasse die Realität der Kunden außer Acht.  Gäbe es da überhaupt jemanden, der von einem Provisionsverbot profitieren könnte?

„Finnland ist hier ein gutes Beispiel“, findet Dr. Grabmaier. „Hier haben die größten Versicherungsunternehmen im Markt die Provisionen abgeschafft. Die Folge war, dass es keinen ausländischen Versicherer gibt, der nach Finnland kommen will.“
Bei so wenig Produktauswahl habe es schließlich keine große Beratungsleistung mehr gebraucht. „Die Verbraucher haben in diesem oligopolistischen Markt das Nachsehen.
Ein Provisionsverbot im deutschen, noch sehr fragmentierten Markt hätte zwei Folgen: Erstens würde es ein Vermittlersterben geben und zweitens kommen immer weniger Menschen in den Genuss unabhängiger Finanzberatung.“ Wer sich also versichern oder fürs Alter vorsorgen wolle, müsse sich dann entweder selbst im Internet informieren – was aber ohne eigenes, finanzielles Hintergrundwissen schwierig sei. Der Preis wäre daher das markanteste Signal, nicht die Qualität des Produkts.

„Oder Kunden gehen direkt zu Produktanbietern wie Banken und Versicherungen – bekommen dort aber in den wenigsten Fällen das für sie persönlich am besten passende Produkt, sondern meist hauseigene Lösungen“, erläutert der Vorstandsvorsitzende von Jung, DMS & Cie. „Es profitieren also in erster Linie die größten Versicherungsunternehmen mit großen eigenen Vertriebskanälen und Discount-Produktanbieter. Nicht umsonst war der große US-ETF-Anbieter Vanguard einer der größten Fans eines europäischen Provisionsverbotes.“ 

Die Wogen in der Branche scheinen vorerst geglättet. Bei der Diskussion um ein „Entweder – Oder“ kommt allerdings eine einfache, letzte Frage auf: Kann es keinen goldenen Mittelweg geben? „Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch“, schließt Dr. Grabmaier.
„Ein Nebeneinander aus Provisions- und Honorarberatung ist doch ein guter Mittelweg.
Wer – warum auch immer – etwas gegen Provisionen hat, kann sich an einen Honorarberater wenden, für alle anderen bleibt es bei der bisherigen provisionsbasierten Beratung.“ (ml)