Interview mit Tim Albrecht, DWS - Warum in die Ferne schweifen?
17.09.2013
Trotz Schuldenkrise und Euroangst lieferten viele Deutschland-Aktienfonds auch im ersten Halbjahr 2013 zweistellige Erträge. Dies nach einem sehr gut verlaufenden Vorjahr. Geht die Rallye weiter, fragen sich Berater und Investoren.
Im finanzwelt-Interview bezog Tim Albrecht, Fondsmanager des DWS Deutschland und Leiter deutsche Aktien, Stellung zu seiner Investmentstrategie und beantwortet die Frage, wie hoch der DAX am Jahresende stehen könnte.
Die DAX-Rallye könnte anhalten. Seit Herbst 2011 legte der Leitindex um knapp 70 % zu. Die jüngst veröffentlichten Konjunkturindikatoren signalisieren, dass der Index noch Luft nach oben haben könnte. So stieg etwa der Ifo-Geschäftsklimaindex zum dritten Mal in Folge. Die aktuellen Arbeitsmarktdaten unterstreichen zudem einmal mehr den relativ soliden Zustand der deutschen Wirtschaft; die Arbeitslosenquote liegt bei 6,8 %. EZB-Chef Mario Draghi sagte kürzlich, dass weitere konjunkturunterstützende Maßnahmen möglich seien, falls die Konjunktur im Euroraum nicht dauerhaft anzieht. Auch dies könnte den DAX beflügeln. Für deutsche Aktien sprechen auch das globale Niedrigzinsniveau und der sich daraus ergebende Mangel an Anlagealternativen. Mit Kursanstiegen zwischen 20 und knapp 40 % gehören die Aktien von Bayer, Daimler und Continental zu den Tops im laufenden Jahr. Diese sind auch Bestandteil des DWS Deutschland.
finanzwelt: Das ZEW-Barometer für die Konjunkturentwicklung in den kommenden sechs Monaten ist im August überraschend stark gestiegen. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Wirtschaft ein?
Albrecht: Die deutsche Wirtschaft hat an Fahrt aufgenommen. Wir sind das einzige Land der Eurozone, in dem der Wohlstand infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht gesunken ist. Insofern hat sich Deutschland vom „kranken Mann" zum Musterschüler Europas gewandelt und ist der stabilisierende Faktor innerhalb Europas. Sollte sich das Wirtschaftswachstum nachhaltig erholen, kommt dies in erster Linie der deutschen Wirtschaft zugute. Dann könnten wir auch wieder von einer Wachstumslokomotive sprechen – momentan ist es hierfür noch zu früh. Deutschland als Investitionsstandort verfügt über gewachsene Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen EU-Staaten. Der Mittelstand beispielsweise ist Motor für Ideen in Deutschland und treibende Kraft für Wachstum, Innovation und Beschäftigung.
finanzwelt: Der DAX ist im laufenden Jahr um fast 10 % geklettert. Investoren fragen sich, ob es nun noch Luft nach oben in Richtung 9.000 Zähler gibt. Was ist für den DAX noch drin?
Albrecht: Die Aktienmärkte haben in besonderem Maße vom Mangel an Anlagealternativen profitiert. Zudem werden Sparer sich immer mehr bewusst, dass sie ihr Geld durch eine unterschätzte Gefahr, der Finanzrepression, verlieren. Ordentliche Renditen zu erwirtschaften im Zeitalter der finanziellen Repression ist fast unmöglich und spielt Aktien in die Hände. Insofern hat der DAX immer noch Potenzial. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis gibt aktuell noch kein Anlass zur Sorge, insofern halte ich einen Anstieg des DAX bis Jahresende auf bis zu 9.000 Punkte für realistisch. Ein jährlicher Kursanstieg mit deutschen Aktien von 6 bis 8 % in den nächsten zehn Jahren sollte grundsätzlich möglich sein. Dies allerdings flankiert von mehr oder weniger starken Kursausschlägen.
finanzwelt: Den DWS Deutschland gibt es nun seit fast 20 Jahren und mit einem Fondsvolumen von ca. 3,5 Mrd. Euro zählt er zu den großen Flaggschiffen. Nach welchen Kriterien suchen Sie eine Aktie aus?
Albrecht: Wir gehen die Bilanzen durch und selektieren. Zudem achten wir bei Unternehmen auf ein interessantes Wachstumsprofil und eine attraktive Bewertung. Ein klares Geschäftsmodell, gepaart mit einer globalen Strategie und hoher Exportquote in die aufstrebenden Staaten, sind vielversprechend. Da gibt es generell auch noch genug Möglichkeiten, beispielsweise bei Automobilzulieferern und Maschinenbauwerten. Zudem zeichnet den Fonds ein strukturelles Übergewicht in Nebenwerte aus. Mid- und Small Caps machen rund 25 % des Fondsvermögens aus. Vor einigen Jahren waren diese Unternehmen noch vergleichsweise behäbig, mittlerweile sind sie deutlich effizienter und die Lohnkosten sind gesunken. Der MDAX als kleiner Bruder hat den DAX mit immer neuen Höchstständen abgehängt. Wir erkennen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine großen Anzeichen für eine Korrektur, behalten uns aber vor, Gewinne auch mitzunehmen.
finanzwelt: Der Telekommunikationssektor spielt eine zu vernachlässigende Rolle in Ihrem Portfolio. Gibt es dort keine chancenreichen Kandidaten? Wie stehen Sie zu Finanztiteln?
Albrecht: Im Telekommunikationssektor wie auch bei Versorgern kann ich derzeit wenig chancenreiche Titel erkennen. Die Geschäftsmodelle stehen zum Teil unter Druck. Dazu kommt eine hohe Verschuldung. Finanzwertemögen verlockend günstig aussehen, die Unsicherheit ist aber nach wie vor groß. Für mich kommen sie erst dann infrage, wenn ein Ende der Finanzkrise absehbar ist.
finanzwelt: Ihre Benchmark ist der CDAX, der alle im General und Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse notierten Aktien enthält. Weichen Sie deutlich vom Index ab?
Albrecht: Durchaus signifikant. Wenn sich ein Fonds zu nah an der Benchmark bewegt, kann ein ETF die bessere Wahl sein. Es gibt natürlich Richtwerte, um nicht zu große Einzel- oder Sektorwetten einzugehen. Mit Blick auf die Branchenaufteilung darf sich mein Fonds um höchstens zehn Prozentpunkte vom Index entfernen.
finanzwelt: Der DAX läuft, der Fonds weist eine gute Performance auf, und trotzdem mussten Sie im vergangenen Jahr mit Mittelabflüssen leben. Wie passt das zusammen?
Albrecht: Die guten Eigenschaften von Aktien werden offensichtlich gar nicht so richtig gesehen. Viele Deutsche legen ihr Geld in Sparprodukten an und blenden aus, dass sie real Geld verlieren. Über einen längeren Zeitraum ist dies gefährlich, gerade beim Thema Altersvorsorge. Die Mehrheit der Bundesbürger setzt den Aktienkauf, trotz der naheliegenden Gründe, in die gesunden Unternehmen zu investieren, mit Spekulation gleich. Zudem haben einige Investoren noch die bitteren Erfahrungen vom Neuen Markt vor Augen und verabschieden sich frühzeitig. Ich bin der Meinung, dass ein guter Deutschland-Aktienfonds in jedes Depot gehört.
Tim Albrecht ist seit 2000 bei der DWS tätig, seit 2002 als Manager des DWS Deutschland. Ende März 2013 wurde der DWS Deutschland von Morningstar als bester Fonds für deutsche Standardaktien ausgezeichnet. Der Diplom-Kaufmann Albrecht hatte den Award bereits für das Jahr 2010 gewonnen und war zudem als Fondsmanager des Jahres geehrt worden.
(Das Interview führte Alexander Heftrich)