Vom Glanz wenig übrig
29.04.2014
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Zu Beginn der Euphorie um die Wachstumsmärkte zählte Russland zu den künftigen Hoffnungsträgern. 2009 brach die russische Wirtschaft ein. Danach ging es wieder bergauf. Die Krim-Krise und der andauernde und gewaltvolle Konflikt in der Ukraine haben Investoren verschreckt. Was passiert, wenn die Gewalt weiter eskaliert und es zum Einmarsch in die Ukraine kommt? Der russische Markt ist eng und schwankungsintensiv. Die Aussichten verhalten.
Die Kapitalmärkte handeln unverzüglich und heftig auf Krisenherde. Umbrüche bedeuten zunächst einmal die Zerstörung der vorhandenen „Ordnung", und darauf reagieren Investoren fast schon allergisch. 2014 beherrscht die Krise um die Ukraine die Schlagzeilen. Die Waffenruhe ist brüchig, es kommt immer wieder zu Schüssen. Die USA und die Nato planen, mehr Truppen nach Polen und ins Baltikum zu entsenden.
Der russische Kapitalmarkt zeigte zum Teil deutliche Abschläge, der Markt für Staatsanleihen ist in diesem Jahr gestrichen, berichten übereinstimmend Medienagenturen. Das bedeutet, dass sich das Land den schwierigsten Bedingungen seit dem Kollaps 2008 ausgesetzt sieht. Die Renditen zehnjähriger russischer Bonds schnellen auf 9 % nach oben; im Vergleich dazu lagen sie vor einem Jahr noch bei 6,5 %. Die geopolitischen Risiken sind gewaltig und Grund für die Kapitalabflüsse aus Russland. Das Fehlen einer klaren mittelfristigen Perspektive erschwere die Situation, und auch wenn viele russische Unternehmen aus Bewertungsgesichtspunkten heute günstig aussehen, könnten sie sich doch als letztlich zu teuer herausstellen, sagt Jan Meister, Geschäftsführer Meritum Capital Managers GmbH. Natürlich hat der Konflikt auch die russische Währung in Mitleidenschaft gezogen. Eine Abwertung gegenüber Leitwährungen wie dem US-Dollar oder dem Euro ist die logische Schlussfolgerung. „Der Rubel hat seit Jahresbeginn um rund 8 % gegenüber dem Dollar abgewertet, hat sich aber stabilisiert, wozu auch die Interventionen der Zentralbank beigetragen haben", fügt Dr. Angelika Millendorfer, Leiterin Emerging Markets Equities bei Raiffeisen Capital Management, an. Seit einigen Monaten fährt die Notenbank auf Druck der Märkte einen Kurs der Rubel-Abwertung, der schon in den Wochen vor der Ukraine-Krise zu einem beschleunigten Abfluss an Kapital geführt hat. Seit Jahresbeginn hat die russische Währung aber nochmals rund 10 % an Wert gegenüber der europäischen Gemeinschaftswährung verloren. Ist die einstige Großmacht auf dem absteigenden Ast? Was zeichnet das Land überhaupt noch aus?
Öl und Gas sind (nicht) alles. Russland beheimatet rund 143 Millionen Menschen und ist Sinnbild eines Vielvölkerstaats. Wie unvorstellbar groß das ehemalige Zarenreich ist, zeigen die neun Zeitzonen. Von der Jahrtausendwende bis 2008 wuchs das Land mit einer durchschnittlichen Rate von 7 %. Doch im gleichen Tempo wie sie zuvor gewachsen war, stürzte die russische Wirtschaft 2009 ab. Es wurde deutlich, wie sehr die Russen von der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und den erzielten Preisen auf den Weltmärkten abhängen. Der Exportanteil von Erdöl, Ölprodukten und Erdgas lag bei weit über 60 %. Russland verfügt nicht nur über die größten Erdgasreserven überhaupt, sondern besitzt damit zugleich mehr als ein Fünftel der weltweiten Reserven. Die fossilen Brennstoffe sind nicht alles, gleichwohl ermöglichen hohe Preise Investitionen in andere Sektoren. „Die Rohstoffe und die riesigen Gasvorkommen sind die treibenden Faktoren in Russland", bemerkt Wolfgang Juds, Geschäftsführer der CREDO Vermögensmanagement GmbH. Dem pflichtet Markus Steinbeis, Leiter Fondsmanagement bei der Münchner Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung GmbH, zu und ergänzt, dass das Land extrem stark auf die Deviseneinnahmen aus den Rohstoffexperten angewiesen sei. Aber es gäbe auch positive Aspekte wie Leistungsbilanzüberschüsse und ein ausgeglichenes Budget, so Steinbeis. Die leicht positiven Faktoren verlieren jedoch an Kraft. Bereits Ende 2013 ging die Regierung davon aus, dass auch für die Periode bis 2030 mit einer jährlichen Zunahme des Bruttoinlandprodukts (BIP) von nur noch durchschnittlich 2,5 % gerechnet werden könne. Mittlerweile sind diese Zahlen Makulatur. „Wegen der politischen Turbulenzen könnte der BIP-Anstieg sogar nur zwischen 0 und 1 % liegen", meint Raffeisen-Expertin Millendorfer. In der Krise werden die Schwächen des Vielvölkerstaats deutlich. Es mangelt an strukturellen Reformen, und das Vertrauen von Investoren sowie Verbrauchern verschlechtert sich. Den Kapitalabfluss aus Russland im laufenden Jahr beziffert die Weltbank mit bis zu 150 Mrd. Dollar. Das russische Wirtschaftsministerium hatte unlängst mitgeteilt, man rechne allein im ersten Quartal mit einem Kapitalabfluss von 70 Mrd. Dollar.
WTO-Bilanz befriedigend. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen ist Russland im Sommer 2012 der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Damit waren viele Hoffnungen verbunden. Befürworter des Beitritts glaubten, dass die russischen Konsumenten von niedrigeren Einfuhrzöllen und von mehr Konkurrenz im Inland profitieren. Investitionsgüter würden zudem günstiger. Laut der Ratingagentur Moody's sind in erster Linie die großen Einzelhändler die Profiteure des Beitritts. Nach Einschätzung von Moody's wird es mindestens drei bis fünf Jahre dauern, bis durch den erleichterten Zugang russischer Unternehmen zu ausländischen Märkten und die angeglichenen Gesetze ein positiver Effekt auf die Kreditwürdigkeit der russischen Geschäftswelt ausgeübt wird.
Ist nun der Bewertungsabschlag Russlands, insbesondere gegenüber anderen Schwellenländern, gerechtfertigt? Auch die drei anderen BRIC-Staaten (Brasilien, Indien und China) haben zum Teil massive Probleme. Das Thema Schattenbanken ist in Peking virulent, Inflation ein Dauerthema in Indien, und die brasilianische Wirtschaft versprüht auch vor der Fußball-WM keinen Glanz mehr. Die aktuellen geopolitischen Risiken in Russland sind aber extrem und Kapital ein scheues Reh.
Fazit
Die Schwankungsbreite (Volatilität) im russischen Markt wird bleiben. Sollte sich die politische Situation nachhaltig beruhigen, werden die Spreads (Bewertungsabschläge) von ihrem hohen Niveau herunterkommen und dann bieten sich auch langfristige Chancen bei einer extrem niedrigen Bewertung am Aktienmarkt an. „Investoren brauchen eine verlässliche Basis für ihr Investment", schlussfolgert Meister. Insofern könnten Berater auf die Chancen im Vielvölkerstaat verweisen, allerdings nur als kleine Beimischung in einem breitgestreuten Portfolio. (ah)