Versicherer müssen von anderen Branchen lernen
02.12.2015
Die deutsche Versicherungsbranche steht mächtig unter Druck. Der Markt ist weitgehend gesättigt und die Wachstumsmöglichkeiten sind sehr überschaubar.
Gleichzeitig drängen branchenfremde Unternehmen auf der Suche nach Diversifizierung jenseits des eigenen Kerngeschäfts in den Markt. Die fortschreitende Digitalisierung erleichtert ihnen den Markteintritt und lässt die Branchengrenzen verschwimmen. Auch wenn die Versicherer im Moment durch regulatorische Großprojekte wie Solvency II, LVRG oder IDD eigentlich schon genug um die Ohren haben: Es hilft alles nichts. Sie müssen bereits heute anfangen, mit neuen Geschäftsmodellen auf die veränderten Marktstrukturen zu regieren.
Dabei sollte die Versicherungsbranche über den eigenen Tellerrand hinausschauen, denn andere Branchen machen bereits vor, wie es gehen kann. Der Einzelhandel beispielsweise reagiert auf die zunehmende Anzahl „hybrider“ Kunden, die laufend zwischen Online- und Offline-Kanälen wechseln möchten, und stellt ihnen nahtlos integrierte Vertriebskanäle zur Verfügung. Diesen Service werden auch immer mehr Kunden von ihren Versicherungen erwarten. Sie sollten ihren Kunden deshalb vollständig miteinander verbundene Kommunikationskanäle wie persönliches Gespräch, Telefon, Internet oder mobile Apps anbieten, die sie je nach Situation und Präferenz nutzen können. Damit haben Kunden etwa die Möglichkeit, Angebote zunächst online zu recherchieren, und dann bei einem persönlichen Gespräch mit einem Vermittler abzuschließen.
Eine nahtlose Verzahnung der Vertriebskanäle ist aber nur eine von mehreren Scheiben, die sich Versicherer von anderen Branchen abschneiden können. Eine weitere ist die höchst individuelle Betreuung. Die Menschen erheben heute immer mehr Daten über sich und ihre Umwelt, gleichzeitig stehen zunehmend ausgereifte System für die automatisierte Auswertung dieser Daten bereit. Diese Basis nutzen andere Branchen bereits für eine zielgenaue Kundenansprache und zur Platzierung passender Angebote. Versicherer könnten sie etwa für eine Risikobewertung in Echtzeit einsetzen und ihren Kunden damit Tarife anbieten, bei denen sie nur für das Risiko bezahlen, dem sie auch wirklich ausgesetzt sind. Mit Hilfe fortschrittlicher Prognosemodelle lassen sich außerdem zuverlässige Vorhersagen für die Zukunft treffen. Das eröffnet Versicherern die Möglichkeit, ihr Konzept weiterzuentwickeln – weg von der Schadenbeseitigung und hin zur Schadenverhinderung.
Diese Beispiele machen deutlich, dass der Digitalisierung bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eine Schlüsselrolle zukommt. Versicherer sollten sie deshalb nicht als Bedrohung, sondern als eine große Chance verstehen. Zahlreiche neue Geschäftsmodelle werden durch sie erleichtert oder sogar erst ermöglicht. Digitale Kompetenz wird damit auch für die Versicherungsbranche zum zukunftsentscheidenden Faktor.
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Autor: Burkhard Herold, Bereichsleiter Consulting Insurance adesso AG
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