Ökosysteme bedeuten neue Erkenntnisse

15.07.2019

Andre Nepgen, verantwortlich für Discoverys globales Fitnessprogramm Vitality / Foto: © Digital Insurance Agenda

Sie steuern das Kundenengagement aktiv. Und diese Steuerung beruht offenbar auf den Verhaltenswissenschaften. Warum setzen Sie auf das erwähnte Anreizsystem, anstatt Ihre Versicherten sich selber eine Apple Watch kaufen zu lassen und ihnen an jedem Monatsende einfach einen bestimmten Betrag ihres Versicherungsbeitrags zurückzuerstatten?

Andre: “Diese Frage wird uns oft gestellt. Unser Anreizprogramm ist aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht durchaus sinnvoll. Dabei geht es im Wesentlichen um Verlustvermeidung. Gemäß den verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen empfindet der Mensch ein größeres Maß an Schmerz über einen wahrgenommenen Verlust, als er sich umgekehrt über einen ebensogroßen Gewinn freut. Um es mit einfachen Worten zu sagen: Wir sind auf Verlustvermeidung bedacht. Auf die Apple Watch übertragen bedeutet das, dass wir den Versicherten die Uhr kostenlos überlassen und ihnen sagen, dass sie jeden Monat einen Verlust in Höhe der monatlichen Ratenzahlung erleiden. Und schon werden Sie erleben, dass sich die Versicherten dramatisch engagieren. Sie ändern ihr Verhalten, nur um diesen Verlust zu vermeiden und verwandeln das nebenbei in ein höchst wirksames Instrument zur Erzeugung einer Verhaltensänderung in der Versicherungsindustrie. Auch wenn es aus versicherungstechnischer Sicht noch ein wenig früh ist, kann ich Ihnen bereits einige Ergebnisse nennen, die wir in unseren reifsten Märkten gesehen haben: Südafrika, den USA und Großbritannien. Dort erleben wir eine dramatische Veränderung der sportlichen Betätigung unserer Versicherten: Der Anstieg beträgt zwischen 35 und 100 Prozent. Dabei beobachten wir unsere Mitglieder nicht erst jetzt; wir haben sie schon vorher mithilfe von anderen Geräten beobachtet, und das bestätigt die Verhaltensänderung.

Es ist auch interessant, die Verteilung der sportlichen Aktivität und die Art und Weise, wie Menschen Sport treiben, zu beobachten. Es ist uns gelungen, die Verteilung zu verändern. Die Versicherten treiben nun nicht nur durchschnittlich mehr Sport als zuvor, wir konnten auch viele bisher inaktive Menschen dazu bewegen, ihren Lebensstil zu ändern – hoffentlich zu ihrem eigenen Besten.”

Das sind beeindruckende Ergebnisse, vor allem aus versicherungstechnischer Sicht! Handelt es sich dabei um eine nachhaltige Entwicklung, die sich auch nach dem ersten Begeisterungssturm fortsetzt?

Andre: “Wenn Sie jemandem einen Anreiz bieten, funktioniert das üblicherweise für einige Wochen und dann lässt der Enthusiasmus merklich nach. Wir wissen aus Studien über tragbare Technologie, dass die Nutzer zuerst ganz begeistert sind, sich intensiv damit beschäftigen und ihre sportliche Aktivität steigern. Aber mit der Zeit nimmt das Engagement ab. Angesichts der Beschaffenheit unseres Anreizsystems, das sich über einen Zeitraum von 24 Monaten erstreckt, konnten wir einen solchen Effekt aber nicht feststellen. Das Aktivitätsniveau der Mitglieder, die von den Belohnungen profitieren, und der Mitglieder, die eine Apple Watch besitzen, bleibt langfristig stabil. Natürlich kommt es am Anfang zu einer steil ansteigenden Kurve, wenn das Engagement und die sportliche Betätigung zunehmen. Diese Kurve flacht mit der Zeit zwar wieder ab, verharrt aber auf einem bemerkenswert hohen Niveau. Wir hoffen natürlich, dass das so bleibt und wir das langfristige Verhalten unserer Mitglieder positiv verändert haben. Und es scheint, als gelte das für alle Länder, in denen wir dieses Programm anbieten.”

Das ist fantastisch. Herzlichen Glückwunsch zu diesen Ergebnissen. Werden bei diesem Programm Unterschiede zwischen den sportlichen Aktivitäten berücksichtigt, zum Beispiel deren unterschiedliche Intensität?

Andre: “Ja, 10.000 Schritte zu gehen oder ein 30-minütiges High-Intensity-Training zu absolvieren, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Es gibt zahlreiche klinische Belege, dass hochintensive Trainingseinheiten wesentlich effektiver sind. Daher haben wir die Ziele so formuliert, dass es den Mitgliedern leichter fällt, ihre Wochenziele zu erreichen, wenn sie einfach unterschiedliche Formen der Körperaktivität praktizieren: hochintensive Übungen. Durch diese Zielsetzung haben wir bewirkt, dass die Versicherten mit einer höheren Pulsfrequenz trainieren. Aus versicherungstechnischer Sicht ist das eine ziemliche Verbesserung.”

Warum mit dem Vitality-Programm nicht nur bereits aktiv Menschen erreicht werden, lesen Sie auf Seite 5