„Massiv unterinvestiert“

07.11.2024

Seit geraumer Zeit entwickeln sich europäische Nebenwerte schlechter als Aktien großer Konzerne. Die Folge ist, dass sie deutlich unterbewertet sind. Sehen wir nun eine Trendwende? Ende August stellte sich Alexander Lippert, Portfolio Manager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A., den Fragen der Redaktion.

finanzwelt: Herr Lippert, die Börsianer schauen auf gute Zeiten zurück. Zumindest diejenigen, die auf Large Caps mit Tech-/KI-Schwerpunkt gesetzt haben. Nebenwerte schaffen bislang noch kein nachhaltiges Comeback. Warum eigentlich?
Alexander Lippert» In den letzten Jahren hat sich das Investitionsumfeld erheblich verändert. Megatrends und Mega Caps haben das Marktgeschehen dominiert. Allokatoren haben Kapital aus Nebenwerten abgezogen, um es ‚mit dem Trend‘ zu investieren. Die Kursperformance gab ihnen Recht. Gleichzeitig hat die geringere Liquidität bei Nebenwerten diesen Teufelskreis verstärkt. Zusammen mit dem stetig wachsenden Anteil passiver Investitionen führte dies zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Underperformance der mittelgroßen und kleineren Titel hat nun eklatante, in der letzten Dekade kaum gesehene Ausmaße angenommen – die Bewertung von Small Caps ist extrem niedrig, sowohl absolut als auch relativ zu Large Caps. Unseres Erachtens ergeben sich hieraus Chancen. Für ein nachhaltiges Comeback sind starke Signale erforderlich, die einen Umschwung in Richtung Nebenwerte auslösen könnten. Die historisch günstige Bewertung spricht für sie, reicht allein jedoch noch nicht aus. Viele Marktteilnehmer sind mittlerweile in Nebenwerten massiv unterinvestiert. Anziehendes Wirtschaftswachstum und eine Entspannung am kurzen Ende der Zinskurve könnten somit zum Auslöser einer Aufholjagd der Small und Mid Caps werden.

finanzwelt: Nebenwerte hatten nirgends einen guten Lauf, doch besonders schlecht lief es in Europa. Wie lautet Ihre Erklärung?
Lippert» Europa läuft Gefahr, im globalen Wettbewerb von den USA und China abgehängt zu werden. Das oft zitierte Bonmot ‚Die USA innoviert, China kopiert, Europa reguliert‘ trifft es leider auf den Punkt. Insgesamt war das Wirtschaftswachstum in Europa zuletzt geringer als in anderen Regionen der Welt. Der anhaltende Ukraine-Konflikt und die dadurch gestiegenen Energiepreise haben die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie beeinträchtigt, was das Interesse internationaler Investoren an Europa gedämpft hat. Trotzdem bieten die derzeit niedrigen Bewertungen in Europa implizit höhere zu erwartende zukünftige Renditen – insbesondere nach dem enormen Lauf und der Verteuerung anderer Segmente und Märkte.

finanzwelt: Nebenwerte sind eine heterogene Gruppe. Welche haben Aufholpotenzial und welche eher nicht?
Lippert» In der Tat tun sich hier große Unterschiede auf. Wir sind vom Ansatz her Stockpicker, was quasi heißt, dass wir auch mal Äpfel mit Birnen vergleichen. Aktuell tun sich insbesondere konsumentennahe Geschäftsmodelle und viele vom allgemeinen Investitionszyklus abhängige Unternehmen schwer. Wir haben aufgrund der Hochzinsphase auch Titel mit viel Exposure zur Bauwirtschaft oder hohen Verschuldungen sowie Werte, die viele Umsätze in und mit China erzielen, gemieden. Wir mögen hingegen Unternehmen mit individuellen Ergebnistreibern, die sich auch in schwierigerem Fahrwasser überdurchschnittlich schlagen sollten. Grundsätzlich sehen mit unserem eigenständigen, aktiven und wertorientierten Investitionsansatz in Nebenwerten und Spezialitäten unverändert attraktive Renditechancen abseits des (passiven) Mainstreams.

finanzwelt: Viele Nebenwerte sind traditionsreiche, familiengeführte Unternehmen. Wie offen ist man hier grundsätzlich für Neues?
Lippert» Familiengeführte Unternehmen denken oft in Generationen und setzen deshalb stärker auf langfristige Investitionen – sei es in Innovation, Kapazitäten oder in ihre Mitarbeiter. Die Herausforderung sehe ich eher in der Machtkonzentration und in Nachfolgekonflikten. Sofern gut geregelt, ermöglichen die unbürokratischen Entscheidungsprozesse dieser familiengeführten Unternehmen eine schnelle Reaktion auf neue Marktchancen. Gleichzeitig sorgt eine oft durch den Ankeraktionär vorgegebene klare strategische Ausrichtung und stabile Führung für die notwendige Kontinuität. Das Ergebnis ist eine nachhaltige und widerstandsfähige Unternehmensführung, die langfristigen Erfolg verspricht.

finanzwelt: Sie sind u. a. für den ‚GS&P Fonds - Family Business‘ verantwortlich. Wie gehen Sie bei der Aktienselektion vor?
Lippert» Unser definierender Anlagegedanke ist ‚Skin in the Game‘. Darum ist uns der direkte Dialog mit Unternehmensentscheidern so wichtig: So lässt sich das Engagement des Managements und dessen Einfluss auf den langfristigen Erfolg eines Unternehmens bewerten. Denn Eigentümer und Vorstände, die persönliche Risiken eingehen, tragen die unmittelbare Verantwortung für unternehmerischen Erfolg, was zu einer langfristigeren Ausrichtung und Solidität beitragen sollte. Der Fonds investiert in börsennotierte, europäische Gesellschaften mit mindestens einem starken Ankerinvestor (Anteilsbesitz > 10 %) – primär Familienunternehmen. Neben quantitativer Auswahlund Bewertungskriterien erfolgt die Aktienselektion durch qualitatives Bottom-up-Stockpicking. Dabei achten wir auf zentrale Kriterien wie Wachstumschancen, Marktstellung, Preissetzungsmacht und Managementqualität.

finanzwelt: Nachhaltigkeit als Megatrend ist vor dem Hintergrund von Inflation und Geopolitik etwas in den Hintergrund gerückt. Welche Rolle spielt das Thema in Ihrem Anlageprozess?
Lippert» Nachhaltigkeit hat in unserem Anlageprozess nach wie vor eine große Bedeutung. Neben unseren eigenen Einschätzungen zu den Unternehmen nutzen wir hierzu die Datenbasis von ISS-ESG. Dabei geht es vor allem um das Rating der Unternehmen sowie um deren positiven Beiträge zu den UN Sustainable Development Goals. Direkter Dialog mit Unternehmensentscheidern, gezieltes Engagement sowie eine aktive Stimmrechtsausübung gehören für uns selbstverständlich ebenso zu einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz.

finanzwelt: Zu Ihrer Person: Mitte 2023 sind Sie von einer großen Adresse zur GS&P Kapitalanlagegesellschaft (GS&P KAG) gewechselt. Welche Beweggründe waren für Sie entscheidend?
Lippert» Ich brenne seit meinem zwölften Lebensjahr für die Aktienmärkte und insbesondere für die Anlage in Nebenwerten. Der Wechsel zur GS&P KAG ermöglichte es mir, dieser Leidenschaft wieder mit großen Freiheiten nachzugehen. Hier kann ich wesentlich unternehmerischer arbeiten, die Gesellschaft aktiv mitgestalten und eigenständige Entscheidungen treffen. Außerdem verwalte ich nun mit dem ‚GS&P Fonds - Family Business‘ zum ersten Mal als leitender Portfoliomanager eine spannende Fondsstrategie, die ich zusammen mit dem engagierten Team weiterentwickeln möchte. (ah)