Leben mit dem Ausnahmezustand
07.10.2014
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Die mit der Lehman-Pleite losgebrochene Finanzkrise ist bis heute nicht völlig überwunden. Notenbanken und Finanzmärkte arbeiten nach wie vor im Krisenmodus. Davon ist die Immobilienwirtschaft besonders betroffen, die von den niedrigen Zinsen bislang profitiert: Die institutionellen Investoren freuen sich entsprechend steigender Werte und Käufer und Bauherren zahlen weniger Zinsen.
Es ist längst in Vergessenheit geraten, so lange ist es her, dass die US-Notenbank FED ihre Leitzinsen auf null (offiziell: 0 % bis 0,25 %) senkte. Das war im Dezember 2008, vor fast sechs Jahren. Barack Obama war gerade zum Präsidenten gewählt aber noch nicht in sein Amt eingeführt. Damit hatte die FED unter Führung des Princeton-Professors Ben Bernanke den Kurs für die globalen Finanzmärkte vorgegeben, dem sich auch kaum eine andere Notenbank entziehen konnte. Die Schweizer SNB etwa senkte ihre Leitzinsen nur wenige Tage später ebenfalls auf 0 %, was auch bis heute gültig ist. Im Geldmarkt unter den Schweizer Banken werden daher schon seit längerem negative Zinsen notiert: Sie zahlen nicht mehr, wenn sie sich Geld bei anderen Banken leihen, sondern verlangen gewissermaßen eine Aufbewahrungsgebühr, wenn sie fremde Gelder für ein paar Monate in Obhut nehmen. Im deutschen Markt ist es kaum besser, hier liegt der Dreimonatssatz bei 0,08 % p. a. Dieser Ausnahmezustand schlägt natürlich auch auf den Hypothekenmarkt durch: Die Zinsen sind so niedrig wie noch nie. Zinsbindungen mit 10 jähriger Laufzeit sind bei oder knapp unterhalb 2 % zu haben –was für Banken und Versicherungen (die hier ebenfalls anlegen) immer noch ein gutes Geschäft ist, die Bundesanleihen mit 10 Jahren Laufzeit bringen derzeit gerade noch 1,2 %.
Das sind – jedenfalls auf den ersten Blick – Traumkonditionen für die Schuldner, die fast schon wie Schnäppchenpreise beim Schlussverkauf wirken. Ganz unmittelbar macht sich diese Stimmung bemerkbar durch eine hohe Zahl von Kreditkunden mit älteren Verträgen und entsprechend höheren Zinsen, die jetzt gerne umschulden möchten, um die niedrigeren Zinsen „mitzunehmen". Das ist normalerweise nur möglich, wenn der Kunde bereit ist, den damit bei der Bank entstehenden Ausfall von Zinseinnahmen bzw. die Kosten der dem Darlehen gegenüberstehenden Refinanzierung zu decken – durch Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung, was den Spaß an der Umfinanzierung in aller Regel beträchtlich mindert.
Die Hürde Vorfälligkeitsentschädigung – findige Juristen haben bereits einen Weg gefunden, auf dem sich diese Hürde unter Umständen umgehen lässt. Zum Vertrag für die Hypothekendarlehen gehört auch eine korrekte Aufklärung über das Widerrufsrecht des Kunden, das seit 2002 besteht: 14 Tage lang nach dem Abschluss hat der Kunde Zeit, sich die Sache noch einmal zu überlegen. Und darauf muss er von der Bank formal korrekt aufgeklärt werden, was aber wohl nicht so recht klappt: Die Hamburger Verbraucherzentrale kam nach Durchsicht von rund 1.800 Hypothekenverträgen zum Ergebnis, dass fast 80 % davon eine fehlerhafte Aufklärung liefern, so dass die betroffenen Kunden ein Ausstiegsrecht haben – mit einem guten Anwalt und Verhandlungsgeschick ohne Vorfälligkeitsentschädigung. Einen ersten Einblick, ob die Chance besteht, erhält man mit Hilfe dieser Finanztipp-Ausgabe www.finanztip.de/?id=919.
Eine weitere Chance sind die Forward-Darlehen, mit denen schon vorab ein neuer Kreditvertrag „gekauft" wird. Als Standardprodukt wird diese Möglichkeit bis zu etwa vier bis fünf Jahre im Voraus geboten, derzeit also ein Kredit ab 2019. Dieser Kredit hat dann derzeit den aktuellen Nominalzins plus etwa 50 bis 100 Basispunkte (0,5 bis 1 Prozentpunkt) Aufschlag. Der Haken dabei: Der Forward bindet den Kunden, der den vereinbarten Zins auch akzeptieren muss, selbst wenn 2019 günstigere Angebote verfügbar sein sollten. Die Japaner leben schon seit weit mehr als 10 Jahren mit den extrem niedrigen Zinsen…
Die Finanzierungen für eine Eigentumswohnung oder das Eigenheim laufen in aller Regel länger als die erste Hypothek: Nach 10 oder 15 Jahren bleibt eine immer noch beachtliche Restschuld zu bedienen. Sollten die Zinsen bis dahin um die vier bis fünf Prozentpunkte gestiegen sein, die ihnen derzeit zum Normalniveau fehlen (der Zinssatz steigt um ein Mehrfaches), müssen auch entsprechend höhere Raten gezahlt werden. Da heißt es: Sicherheitspuffer in die Finanzierung einbauen.
Die nächstliegende und wohl auch in großem Maßstab praktizierte Vorkehrung ist eine erhöhte Tilgung: Die Annuität wird statt mit der sonst üblichen anfänglichen Tilgung von 1 % (plus Zinsen) jetzt häufig mit 2,5 % oder 3 % anfänglicher Tilgung plus Zinsen berechnet. Das bringt gleich mehrere Vorteile: Die Restschuld beim Ablauf der ersten Zinsbindung nach 10 oder 15 Jahren ist deutlich geringer und zudem ist „Luft" in der Kalkulation. Man kann die Anschlussfinanzierung mit einer geringeren anfänglichen Tilgung angehen, um die Raten im Rahmen des Tragbaren zu halten, auch wenn die Zinsen deutlich angezogen haben sollten. Zudem wird damit vorab der bei dem gegebenen Einkommen mögliche Kreditbetrag begrenzt, weil die monatliche Belastung bei gegebenem Zinssatz steigt. Folge: Die Schuldner können sich damit nur relativ geringere Darlehenssummen leisten, was manchen Kunden wohl auch davon abhält, sich mit einem allzu ambitionierten Kredit zu übernehmen.
Maßvolle Kreditsummen und schnelle Tilgungen schützen auch gegen Konsequenzen der allgemeinen Risiken wie Scheidungen oder Jobverlust. Diese Risiken können auch die Profis treffen, wie Prof. Bernanke jüngst erfuhr: Seit dem Abschied als Chef der FED lebt er von Vortrags- und Publikationshonoraren, also eher unregelmäßigen Einnahmen. Damit wurde er ein so schlechter Schuldner, dass ihm jüngst die Refinanzierung seiner eigenen Hypothek verweigert wurde – aufgrund jener verschärften Vergaberegeln, auf die er selbst die Banken verpflichtet hatte. (mk)