Kaufen oder abwarten?
20.12.2022
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Immobilieninteressierte haben die Zinsentwicklung 2022 mit Staunen beobachtet und sind zuweilen auch an deren enormer Dynamik verzweifelt. Ähnliches galt für die Entwicklung der Baukosten. Die neue Bundesregierung brachte Unruhe in die staatlichen Förderungen. Was bleibt, ist eine völlig neue Marktsituation. Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, blickt darauf und gibt eine Prognose für 2023: Soll ich kaufen oder besser warten?
Jetzt kaufen: Zinsen werden weiter steigen
Ein Argument, das für das prompte Zugreifen beim richtigen Objekt spricht, ist der weitere Zinsanstieg. Auch wenn es laut Michael Neumann von Dr. Klein zurzeit schwer ist vorherzusagen, wie sich die Baufinanzierungszinsen konkret mittel- und langfristig entwickeln werden. Zu ungewiss sind die Faktoren, die Einfluss auf die Zinsen haben. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wie genau es mit der Inflation, der Wirtschaftskraft und den Energiepreisen weitergeht.
Neumann prognostiziert: „Die Baufinanzierungszinsen werden nicht wieder auf das extrem niedrige Niveau der letzten Jahre zurückfallen – die Zeiten des billigen Baugelds von einem Prozent oder weniger sind vorbei. Im Gegenteil: Derzeit gehe ich davon aus, dass wir mit weiterhin steigenden Zinsen rechnen müssen. Der Bestzins für 10-jährige Zinsbindungen wird im Laufe des nächsten Jahres auf über 4 % steigen.“
Der Hauptgrund für vermutlich höhere Zinsen im Jahr 2023 ist die extreme Inflation und die Erwartung, dass sie nächstes Jahr auf sehr hohem Niveau verharren wird. Aber: So steile Anstiege wie 2022 erwartet Michael Neumann nicht mehr – eher werde es Zickzack-Bewegungen geben, bei denen sich Rückgänge mit Anstiegen abwechseln.
Immobilienpreise werden sinken – nach und nach
Die Preise für Wohneigentum sind in den letzten Jahren regelrecht davongerannt – zum Teil im gestreckten Galopp. Selbst renovierungsbedürftige Objekte oder Immobilien in schlechteren Lagen stiegen kontinuierlich im Preis und wurden noch Anfang 2022 deutlich über ihrem Wert verkauft. Michael Neumann stellt fest: „Damit ist jetzt Schluss, der Immobilienmarkt hat in ganz Deutschland eine Vollbremsung hingelegt.
Einen flächendeckenden Preisrutsch werden wir aber nicht sehen. 2023 differenziert sich der Markt kleinteiliger aus: Einige Lagen und Objekte bleiben stabil auf dem jetzigen Niveau oder werden nur geringfügig billiger. Bei anderen müssen die Verkäufer dagegen deutlich von ihren jetzigen Vorstellungen Abschied nehmen und sie zum Teil zu wesentlich geringeren Preisen anbieten.“ Im Moment herrscht eine Art Habachtstellung, Verkäufer und potenzielle Käufer beäugen einander: Wer gibt als Erster nach? Die derzeitigen Besitzer werden mehr Kompromisse machen müssen, denn viele Interessenten sind an ihrer finanziellen Schmerzgrenze angekommen.
Der Immobilienmarkt differenziert sich aus
Die großen Städte haben bis zur Corona-Pandemie von ungebrochenem Interesse und Zuzug profitiert. Viele waren bereit und in der Lage, sehr hohe Quadratmeterpreise zu zahlen, damit sie zentral oder in der Nähe des Arbeitsortes wohnen konnten. Mit weiter steigenden Kosten und neuen Möglichkeiten, auch von zu Hause aus zu arbeiten, hat sich das geändert. Dieser Trend hält voraussichtlich an.
Neumann prognostiziert: „Die Immobilienpreise werden in den Metropolen nicht mehr so stark steigen, sondern stagnieren oder sogar leicht zurückgehen. Auch hier muss man genau hinschauen: Die Mikrolage hat einen großen Einfluss auf die Preisentwicklung.“ In den Speckgürteln – oft das Beste aus zwei Welten – sollte 2023 niemand auf einen Preisrutsch hoffen. Hier sind die eigenen vier Wände günstiger als in der Großstadt und wertstabil. Anders wird es vermutlich im ländlichen Raum aussehen: Dort, wo die Wege zur Schule, zur Arbeit oder zum Supermarkt lang sind, geben die Preise am schnellsten und stärksten nach.
Das Objekt wird immer wichtiger
Nicht nur die Lage entscheidet 2023, ob und wie stark die Preise fallen. Mindestens genauso wichtig ist die Immobilie selbst – und hier vor allem: ihre Energieeffizienz. Die Kosten für Strom, Heizung und Warmwasser sind so extrem in die Höhe geschnellt, dass der Energieverbrauch zu einem kritischen Faktor bei der Immobiliensuche geworden ist. Verkäufer von alten, unsanierten Häusern oder Wohnungen müssen sich auf hohe Abschläge einstellen: „Hier kann der Unterschied zu dem Preis, wie er noch letztes Jahr realistisch war, im zweistelligen Prozentbereich liegen“, so Neumann.
Gerade Käufer mit normalem Einkommen könnten hier ein Schnäppchen wittern und ihren Immobilienwunsch doch noch verwirklichen – trotz höherer Finanzierungskosten. Aber sie sollten das mit Vorsicht und Weitsicht tun: Denn auch bei den Modernisierungskosten schlagen Lieferengpässe und Inflation zu Buche. Daher empfiehlt es sich, das Budget dafür gleich bei der Finanzierung der Immobilie mit zu beantragen.
Tipps für Immobilienkäufer 2023
„Auch wenn es 2023 keinen Preissturz geben wird – weder bei den Finanzierungskosten noch bei den Immobilienpreisen – werden wir günstigere Objekte am Markt sehen. Vor allem haben wir nun keinen Verkäufermarkt mehr. Ich rate Menschen, die 2023 eine Immobilie kaufen wollen, mutig in die Preisverhandlung zu gehen und den Spielraum auszuloten. Das gilt besonders für ältere Häuser oder Wohnungen, die saniert werden müssen, oder für ländliche Lagen“, so Neumann von Dr. Klein.
Sein Tipp für 2023: am Ball bleiben, viele Objekte ansehen und nicht mit drastischen Preisrückgängen rechnen. Und sich neutral beraten lassen, um die beste Baufinanzierung am Markt zu erhalten. Zudem empfiehlt der Finanzierungsexperte, auf lange Zinsbindungen zu setzen, denn diese sind im Vergleich zu sehr kurzen Zinsfestschreibungen kaum teurer. Darlehensnehmer kaufen sich damit ein Stück Sicherheit für die Zukunft. (ml)