Industrie 4.0 bietet zahlreiche Chancen – wenn sie konsequent ergriffen werden
07.04.2020
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Der Begriff Industrie 4.0 hat sich längst in den Köpfen der Unternehmensverantwortlichen verankert. Gemeint ist damit im Wesentlichen die Digitalisierung der industriellen Produktion, um diese für die Zukunft besser aufstellen zu können.
Doch zunächst darf der Blick in die Vergangenheit nicht fehlen: Die erste industrielle Revolution wird mit der Mechanisierung mittels Wasser- und Dampfkraft in Verbindung gebracht, die zweite industrielle Revolution war geprägt von Massenfertigung mit Hilfe von Fließbändern und elektrischer Energie, und die dritte industrielle Revolution ging mit dem Einsatz von Elektronik und IT (vorrangig die speicherprogrammierte Steuerung – SPS) zur Automatisierung der Produktion einher.
Begriff erstmals 2011 öffentlich bekanntgemacht
Der Begriff der vierten industriellen Revolution, oder Industrie 4.0, wurde im Jahr 2011 von den Physikern Henning Kagermann und Wolf-Dieter Lukas und dem Informatiker Wolfgang Wahlster erstmals im Zuge der Hannover Messe in die Öffentlichkeit getragen. Doch was verbirgt sich genau dahinter? Die vierte industrielle Revolution bedeutet, dass digital gesteuerte Systeme in der produzierenden Industrie unter Nutzung von Internet-Technologien kommunizieren. Mittels eines gemeinsamen Netzwerkes bekommen die Akteure einen direkten Zugriff auf mehr Informationen und Funktionalitäten. Durch verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) können so Prozesse beschleunigt, Produktivität und Qualität verbessert und Kosten gesenkt werden.
Standardisierung bedeutet Erfolg
Ein zentraler Punkt im Bereich der Industrie 4.0 ist aber die Standardisierung. Damit befassen sich unter anderem diverse Fachausschüsse in den Industrieverbänden und Organisationen. Die Arbeiten an den Begrifflichkeiten rund um Industrie 4.0 gestalten sich jedoch schwierig, da beispielsweise die Kommunikation fachfremder Konzepte zwischen den Domänen IKT und Produktion problematisch ist und nach wie vor ein Bedarf an eindeutigen Definitionen als Grundlage für die Normung gegeben ist. Ein Durchbruch auf dem Gebiet der Standardisierung und den internationalen Kooperationen ist 2018 der „Plattform Industrie 4.0“ gelungen. Die Experten der Plattform konnten damals eine sogenannte Verwaltungsschale (VWS), die Merkmale, Messwerte und Fähigkeiten enthält, definieren. Die Verwaltungsschale enthält alle Informationen einer Maschine und dient als ihre „digitale Schnittstelle“. Die Plattform hat ihre Konzepte damals auch in internationale Kooperationen eingebracht und weiterentwickelt.
IT-Security rückt in den Fokus
Eine der wesentlichen Herausforderungen der Industrie 4.0 liegt nach wie vor in der IT-Sicherheit. Denn Cyberangriffe können ganze Wertschöpfungsprozesse lahmlegen, die oftmals durch zunehmende Vernetzung global organisiert sind. Betroffen davon ist die klassische IT, aber auch die Weiterentwicklung zu OT (Operational Technology). OT meint dabei Hard- oder Software, die als Reaktion auf die direkte Überwachung von Geräten, Prozessen oder Ereignissen Änderungen feststellt oder herbeiführt. Die Bedrohung für IT- und OT-Organisationen ist unverändert groß und das lässt sich auch mit Zahlen untermauern: Im Jahr 2018 waren 74 Prozent der OT-Organisationen von einem Datenverlust durch eine Malware-Attacke betroffen. Das ist insofern kritisch zu sehen, da OT zunehmend in sensiblen Bereichen wie der Energie-, Versorgungs- und Ölindustrie eingesetzt wird und Schwachstellen herbe ökonomische, aber auch ökologische Schäden zur Folge haben können. Neben der Produktivität gerät auch die Sicherheit von Individuen durch solche Attacken in Gefahr. In diesem Bereich setzt zum Beispiel die Operational Technology Cyber Security Alliance (OTCSA) an, die sich zum Ziel gesetzt hat, OT-Betreiber und Lieferanten mit Ressourcen und Anleitungen zu versorgen, um Risiken durch Cyberangriffe zu reduzieren. Zu den Mitgliedern zählen renommierte Unternehmen wie beispielsweise Microsoft, BlackBerry Cylance, NCC Group und ABB.
IT und OT wachsen zusammen
Gegenwärtig ist festzustellen, dass IT und OT immer stärker zusammenwachsen. Das führt neben einem Effizienzgewinn auch zur Erschließung neuer Geschäftsmodelle. Die Basis dazu liegt in der digitalen Massentransformation und dem industriellen Internet der Dinge (IIoT – Industrial Internet of Things). Das IIoT steht dabei für die industrielle Ausprägung des Internet of Things (IoT). Im Gegensatz zu IoT konzentriert sich IIoT auf die Anwendung im produzierenden und industriellen Umfeld. Das IIoT kommt in vielen verschiedenen Bereichen der Industrie zum Einsatz – etwa bei produzierenden Betrieben, Logistikunternehmen, in der Agrarwirtschaft, der Energieversorgung oder im medizinischen Umfeld. In diesen Bereichen werden dank IIoT Effizienzsteigerungen durch flexiblere Produktionstechniken und die Nutzung intelligent vernetzter industrieller Systeme erzielt. Im Fokus stehen Sensoren und Sensordaten, welche die Datenbasis für die Automation und die selbstlernenden Maschinen liefern. Da bei der Realisierung des IIoT große Datenmengen anfallen und diese in hoher Geschwindigkeit verarbeitet werden müssen, spielen Big-Data-Technologien und -Anwendungen eine wichtige Rolle.
Ohne Industrie 4.0 wird es schwierig
Industrie 4.0 ist also mit zahlreichen Herausforderungen, aber mit noch mehr Chancen verbunden. Ohne die Nutzung der vielfältigen Möglichkeiten der vierten industriellen Revolution werden viele Betriebe in Zukunft nicht bestehen können. In einer sich schnell verändernden Welt ist es für Unternehmen heutzutage wichtiger denn je, schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren, um wettbewerbsfähig zu werden und auch zu bleiben. Im betrieblichen Umfeld geht es nun noch stärker um die Nutzung von Synergien. Entscheidend ist das perfekte Zusammenspiel zwischen Lieferant und Kunde, aber auch zwischen Mensch und Maschine, um die Wertschöpfungskette weiter zu optimieren.
Best Practice aus Österreich
Der Industrie 4.0 und ihren Folgeerscheinungen dürfen sich auch traditionelle Industrien, wie die Glasverarbeitung, nicht verschließen. Auch bei diesen hat die Digitalisierung längst Einzug gehalten, wie am Beispiel des österreichischen Unternehmens LiSEC ersichtlich wird. Seit mehr als 50 Jahren produziert LiSEC Glasbearbeitungsmaschinen, darunter fallen Glaszuschnitt- und Sortiersysteme, intelligente Automatisierungslösungen und komplette Produktionslinien für die Isolier- und Verbundglasfertigung. Die Exportquote der Firma aus dem niederösterreichischen Seitenstetten beträgt mehr als 95 Prozent.
Die internationalen Kunden von LiSEC profitieren nicht nur vom Maschinenbau-Know-how, sondern auch von Software-Lösungen, die optimal auf die Glasherstellungsmaschinen abgestimmt sind. Obwohl der Fokus des österreichischen Unternehmens auf dem Maschinenbau liegt, kennen die LiSEC-Verantwortlichen die Herausforderungen an eine effiziente Glasverarbeitung genau, da das Unternehmen selbst Flachglas verarbeitet.
Das Potenzial der Smart Factory kann durch das umfassende Know-how sowie die Vernetzung zwischen den Anlagen und der passgenauen Software bestmöglich ausgeschöpft werden. Die Digitalisierung ist dabei nicht nur auf die Maschinen beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Prozesse wie Auftragsmanagement, Produktionsplanung und Qualitätskontrolle. Als Resultat steht eine effizientere und effektivere Planung zu Buche. Außerdem werden Fehler minimiert und durch eine bessere Ausnutzung des Materials wird überschüssiger Abfall minimiert. Das führt wiederum neben der Schonung der Umwelt zu entscheidenden Kostensenkungen.
Der Blick auf den Faktor Mensch
Bei allen positiven Aspekten, die Industrie 4.0 mit sich bringt, darf auf den Faktor Mensch nicht vergessen werden. Durch die zunehmende Digitalisierung verändert sich auch die Arbeitswelt und monotone Fließbandarbeit rückt zusehends in den Hintergrund. Vielmehr entstehen durch die Flexibilisierung und Dezentralisierung der Produktionsprozesse neue Verantwortlichkeiten der Beschäftigten. Wer gestern noch am Fließband stand, für den könnten sich im Service- oder Beratungsbereich neue Chancen auftun. Das führt schlussendlich zu mehr Verantwortung und Abwechslung und kann die Zufriedenheit der Angestellten nachhaltig erhöhen. Innovative Unternehmen und Beschäftigten, welche die Veränderungen aktiv mittragen wollen, stehen somit viele Möglichkeiten offen.
Autor: R. Stummvoll