Die Sorgen der Ostdeutschen
29.06.2023
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Besonders in den ostdeutschen Bundesländern wenden sich derzeit recht viele Menschen von den etablierten Parteien ab. Eine mögliche Ursache hierfür liegt in der Rentenpolitik der Bundesregierung und den Sorgen der Menschen um ihre Altersvorsorge: So erzielt der deutsche Altersvorsorge-Index (DIVAX-AV) in den neuen Bundesländern einen deutlich schlechteren Wert als in den alten. Dies ergibt eine Auswertung des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) im Rahmen der halbjährlichen Index-Erhebung. Zugrunde liegen repräsentative Befragungen im Frühjahr 2023 sowie im Herbst 2020 unter jeweils 2.000 Bürgerinnen und Bürgern (davon 1.600 in den westlichen und 400 in den östlichen Bundesländern).
Der deutsche Altersvorsorge-Index offenbart signifikante regionale Unterschiede innerhalb Deutschlands: Während er in den westlichen Bundesländern aktuell bei +3,5 liegt, ist die Stimmung zur Altersvorsorge in den östlichen Ländern mit einem Indexwert von -9,4 deutlich schlechter, wobei der Index Werte zwischen +100 und -100 annehmen kann. Im Vergleich zur Erhebung im Herbst 2020 hat sich die Stimmung insgesamt verschlechtert, jedoch ist der Abfall in den östlichen Bundesländern von -5,7 auf -9,4 (= -3,7 Punkte) noch stärker als in den westlichen (-2,3 Punkte). Die Stimmungslagen Ost und West driften also auseinander.
Dazu Prof. Dr. Michael Heuser, Wissenschaftlicher Direktor des DIVA: „Die Einkommen in den östlichen Bundesländern hinken immer noch deutlich hinterher. Das führt entsprechend zu niedrigeren gesetzlichen Rentenanwartschaften, was die DIVA-Ergebnisse reflektieren. Hinzu kommt: Wer weniger verdient, hat weniger Mittel für ergänzende private Altersvorsorge zur Verfügung. Kein Wunder also, dass sich die Menschen im Osten mehr Sorge um ihr Auskommen im Alter machen.“
Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung, eines der vier Trägerverbände des DIVA, ergänzt: „Die Mitglieder unseres Verbandes im Osten beraten jeden Tag tausende von Bürgerinnen und Bürgern zur privaten Altersvorsorge. Sie bestätigen uns deren große Sorgen. Und das betrifft nicht allein die Rente. Im Vergleich zum Westen sind das Geldvermögen und die Aussicht auf eine Erbschaft geringer. Hinzu kommt, dass viele junge Menschen abgewandert sind. Es schürt Ängste fürs Alter, wenn keine Aussicht auf Unterstützung durch die Kinder vor Ort besteht.“ Frauen und Ältere besonders pessimistisch
Aufschlussreich ist auch der Blick auf die nach Geschlecht und Alter differenzierten Indizes. Bei den Älteren im Osten (50 bis 65 Jahre) ist die Stimmung zur Rente mit einem Indexwert von -26,0 Punkten besonders schlecht. Und bei den Frauen im Ostenliegt der Wert mit -11,8 deutlich unter dem der Männer im Osten (-6,4) und dem der Frauen im Westen (-0,6). Für Heuser plausibel: „Bei den Älteren ist der Renteneintritt in Sichtweite oder steht sogar unmittelbar bevor. Sie wissen, wenn das Geld nicht oder nur knapp reichen wird. Deshalb sorgen sie sich am meisten. Und dass Frauen größere Sorgen haben, liegt auf der Hand. Die im Osten ohnehin schon niedrigeren Einkommen sind bei ihnen im Schnitt noch geringer.“
Kein Spielraum für Anpassung des Rentenniveaus
Die Ergebnisse werfen die Frage danach auf, ob die Politik gegensteuern und Ängste nehmen kann. Gegenüber einseitigen Verbesserungen des Rentenniveaus in den östlichen Bundesländern zeigt sich Heuser skeptisch: „Wer soll das bezahlen? Blickt man auf die demografische Entwicklung mit dem anstehenden Rentenbeginn derBabyboomer, sind Erhöhungen des Rentenniveaus sehr problematisch. Wenn der Steuerzuschuss nicht ins Uferlose wachsen soll, muss man eher über eine Absenkung diskutieren. Auch die aktuelle Regierung sieht keinen Spielraum für eine Erhöhung:Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung friert das Rentenniveau bis zum Ende der Legislatur ein.“
Eine Alternative läge in einer anderen Form von Transferzahlungen, so Wirth, der vor diesem Hintergrund das Ausbleiben einer Riester-Reform bedauert: „Riester war dasbeste Altersvorsorgeprodukt für Menschen mit niedrigem Einkommen und deshalb gerade im Osten so wichtig. Die Menschen dort könnten mit wenig Eigenanteil hohe Zulagen erhalten. Weil die Regierung eine Reform nicht anpackt, gibt es fast keine Tarife und keine Neuabschlüsse mehr. Das muss sich die Regierung ankreiden lassen, wenn es um die Sorgen der Menschen im Osten geht. Unsere Mitglieder haben dafürkein Verständnis.“ (fw)