Die Schwerverletzung in der Unfallversicherung (OLG Hamm)

08.07.2024

Rechtsanwalt Jens Reichow. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Das OLG Hamm hatte sich mit der Auslegung von Unfallversicherungsbedingungen zur Schwerverletzung, sowie dessen möglicher Unwirksamkeit zu befassen (OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 07.08.2023 – 20 U 19/23).

Versicherungsschutz bei Schwerverletzungen

In dem Fall vor dem OLG Hamm begehrte die Versicherungsnehmerin Leistungen aus ihrer Unfallversicherung. Der Versicherungsvertrag versprach besondere Leistungen bei Mehrfachverletzungen. Versicherungsschutz für solche Schwerverletzungen bestand nach den Versicherungsbedingungen danach u.a. bei einer „Fraktur an zwei langen Röhrenknochen (Ober-/Unterarm, Ober-/Unterschenkel) an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten“.

Die Versicherungsnehmerin erlitt infolge eines Unfalls Frakturen an Schien- und Wadenbein desselben Beins. Sie machte zunächst geltend, infolge ihres Unfalls die Voraussetzungen dieser Klausel der AUB zu erfüllen und daher Anspruch auf diese Leistungen zu haben. Der Unfallversicherer wies die Forderung jedoch zurück und argumentierte, der Anspruch auf diese weiterführenden Versicherungsleistungen setze voraus, dass verschiedene Gliedmaßen betroffen sein müssten. Dies sei hier nicht gegeben.

Das Landgericht Münster wies die Klage der Versicherungsnehmerin mit Verweis auf den Wortlaut der Versicherungsbedingungen ab.  Dieser sei unmissverständlich. Die Versicherungsnehmerin war eben nicht an zwei unterschiedlichen Gliedmaßen betroffen.

Die Versicherungsnehmerin legte gegen die Entscheidung des LG Münster vor dem OLG Hamm Berufung ein. Sie vertrat dabei aufgrund der Begründungen des LG Münster zur Auslegung nun vor dem OLG Hamm nicht mehr die Auffassung, dass die Voraussetzungen der Klausel erfüllt seien. Stattdessen berief sie sich auf die Unwirksamkeit der Klausel.

Auslegung der Versicherungsbedingungen

Das OLG Hamm stellt zunächst klar, dass der Wortlaut der Klausel auch nach ihrem Dafürhalten eindeutig ist und macht sich die vom LG Münster angeführten Gründe zu eigen. Es ergänzt die Entscheidung des LG Münster durch einen Verweis darauf, dass sich mit der Frage der Auslegung dieser Vertragsklauseln zuvor bereits das OLG Frankfurt befasst hat (OLG Frankfurt, Urt. v. 25.06.1997 – 7 U 133/96).

In der streitgegenständlichen Klausel war eine „Fraktur an zwei langen Röhrenknochen“ Voraussetzung für die Leistung. Sogar ohne den hier vorliegenden Zusatz „an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten“ entschied das OLG Frankfurt dahingehend, dass die Frakturen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßen eingetreten sein müssen. Der Bruch zweier Röhrenknochen des gleichen Gliedmaßes wurde auch hier nicht als schwere Mehrfachverletzung verstanden.

Unwirksamkeit der Klausel?

Auch handelte es sich nach der Auffassung des OLG Hamm nicht um eine überraschende oder mehrdeutigen Klausel nach § 305c BGB.

Eindeutige Definition der Schwerverletzung

Es handelt sich – entgegen der Auffassung der Versicherungsnehmerin – nicht um eine unklare Vertragsbedingung. Die Vorschrift, wonach Zweifel bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen zulasten des Versicherers gehen, greift nur ein, wenn die Möglichkeiten der Auslegung erschöpft sind und objektive Mehrdeutigkeiten verbleiben. Der Wortlaut ist hier jedoch unmissverständlich und nimmt klar Bezug dazu, dass Frakturen an zwei langen Röhrenknochen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßen vorausgesetzt sind. Daher kann die Klausel nicht anders als dahingehend ausgelegt werden, dass Versicherungsnehmerin infolge des Unfalls unmittelbar Frakturen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten erlitten haben muss.

Keine überraschende Klausel

Auch war die Klausel nach Ansicht des OLG Hamm nicht versteckt, also überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB. In den Allgemeinen Vertragsbedingungen werden die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Schwerverletzung definiert.  Es handelt sich also um eine Leistungsbeschreibung und eben nicht um eine von der Versicherungsnehmerin angenommene Ausschlussklausel. Zwar ist dem im Versicherungsschein erwähnten Begriff der „Schwerverletzung“ nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen der Versicherer versprochene Leistungen schuldet. Jedoch ist davon auszugehen, dass der Versicherungsnehmer sich zwangsläufig über die in den AUB aufgelisteten Leistungen informiert. Dabei wird der Versicherungsnehmer zwangsläufig darauf stoßen, dass der Begriff der Schwerverletzung in den AUB durch die aufgeführten Verletzungen definiert wird. Auch hier ist der Wortlaut, nach dem der Versicherungsnehmer eine der „folgenden Schwerverletzungen“ erlitten haben muss, eindeutig. Die Liste der aufgezählten Schwerverletzungen ist abschließend und daher als Leistungsvoraussetzung zu qualifizieren.

Fazit zum Hinweisbeschluss des OLG Hamm

Selbst wenn das OLG Hamm in dem vorliegenden Fall die Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung nicht im Sinne der Versicherungsnehmerin auslegte, können Versicherungsbedingungen durchaus ausgelegt werden (siehe hierzu Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen). Der Versicherungsnehmer hat sich also nicht stets mit der Auslegung der Versicherungsbedingungen durch den Versicherer abzufinden.

Ein Gastbeitrag von Jens Reichow, Rechtsanwalt und Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow.