Besteht eine Behandlungsobliegenheit bei Berufsunfähigkeit?

11.09.2024

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Kann sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Behandlungsobliegenheit des Versicherungsnehmers in der Berufsunfähigkeitsversicherung ergeben? Wie weit eine solche Behandlungsobliegenheit reicht und in welchem Rahmen der Versicherer Einfluss auf eine solche Behandlung nehmen kann, soll der nachfolgende Artikel erläutern.

Liegt der Abschluss des Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrags vor dem Jahr 2006, können Klauseln enthalten sein, die dem Versicherungsnehmer bestimmte Behandlungsobliegenheiten auferlegen. Zunächst ist festzustellen, dass der Versicherungsnehmer nur solchen Behandlungen zur Verbesserung des Gesundheitszustands zu folgen hat, die ihm der behandelnde Arzt auferlegt und nicht Weisungen des Versicherers. Ist in der Klausel Gegenteiliges formuliert, so kann darin ein Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Versicherungsnehmers liegen. Zudem kann ein weiterer Verstoß darin gesehen werden, wenn die Klausel den Versicherungsnehmer verpflichtet, den Behandlungsanordnungen des vom Versicherer beauftragten Arztes nachzukommen. Der Versicherer darf stets auch einer Behandlung des von ihm ausgewählten Arztes nachgehen.

Was fällt unter den Begriff der ärztlichen Anordnung?

Es können dem Versicherungsnehmer nur solche Behandlungsanordnungen auferlegt werden, die sich im Rahmen des „Zumutbaren“ halten. Ob eine ärztliche Anordnung vorliegt, ist nach der Personenbezogenheit zu beurteilen. Bei der Anordnung darf es sich nicht um einen allgemeinen medizinischen Ratschlag handeln. Vielmehr muss sich die Weisung des Arztes konkret auf die Verbesserung des Gesundheitszustands des Versicherungsnehmers beziehen, um die Gesundheitsbeeinträchtigung zu verbessern. Es muss also ein konkreter ärztlicher Ratschlag vorliegen und bloße Empfehlung.

Wie weit geht das Mitbestimmungsrecht des Versicherers?

Der Versicherer kann keine eigenen Behandlungen beauftragen oder dem Versicherungsnehmer auferlegen, sich von einem durch ihn beauftragten Arzt behandeln zu lassen. Es sollte daher bei dem Vorliegen einer entsprechenden Klausel stets eine genaue Überprüfung dieser erfolgen, um eine mögliche unangemessene Benachteiligung auszuschließen. Liegt trotz des Verbots einer solchen Formulierung eine solche Klausel vor, so sollten entsprechende rechtliche Maßnahmen ergriffen werden. Besonderheiten ergeben sich in Bezug auf Beamte, da diese eine Gesunderhaltungspflicht gegenüber ihren Dienstherren trifft. Es kann dann im Zweifel auf die Verwendung einer bestimmten Beamtenklausel ankommen.

Behandlungsobliegenheit nach Treu und Glauben oder Schadensminderungspflicht?

Eine Behandlungsobliegenheit des Versicherungsnehmers kann sich auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben oder einer Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers ergeben. Die Behandlungsobliegenheit kann daher nicht nur bei älteren Versicherungsverträgen entstehen, sondern kann sich auch bei neuen Versicherungsverträgen ergeben.

Behandlungsobliegenheit aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben

Grundsätzlich gilt, dass der Versicherungsnehmer beim Fehlen einer entsprechenden Klausel nicht zu Maßnahmen zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit verpflichten werden kann. In Ausnahmefällen kann aber in einer Verweigerung zur Anwendung einer Heilmaßnahme zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegen (§ 242 BGB). Dafür muss der Versicherungsnehmer ausnahmsweise durch das Unterlassen der Heilbehandlung oder anderen zumutbaren Kompensationsmöglichkeiten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Grundsätzlich sollte für eine Bewertung eines solchen Falles stets der Einzelfall betrachtet werden. Es kann aber zur Bildung eines allgemeinen Maßstabs darauf abgestellt werden, wie sich eine Person verhalten würde, die nicht gegen eine Berufsunfähigkeit versichert ist. Die entsprechenden Heilmaßnahmen müssen selbstverständlich im Rahmen des Zumutbaren liegen.

Schadensminderungspflicht des Versicherungsnehmers?

Eine Pflicht des Versicherungsnehmers kann sich auch aus der allgemeinen Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) ergeben. Darunter können bestimmte Arbeitserleichterungsmaßnahmen verstanden werden, aber nur, wenn die Arbeit ohne Qualitätseinbuße verübt werden kann. Dafür müssen die Arbeitserleichterungsmaßnahmen auf einfache und gefahrlose Art geeignet sein, den Versicherungsfall abzuwenden oder diesen wieder zu beseitigen. Die Kosten für eine solche Schadensminderungspflicht hat der Versicherungsnehmer zu tragen.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Versicherungsnehmern obliegt es, bis zu einem gewissen Maß eine ärztliche Anordnung durch Auferlegung durch eine Klausel oder Heilmaßnahmen im Sinne von Treu und Glauben zu befolgen, um die Berufsfähigkeit wiederherzustellen. Auch kann sich zur Verhinderung oder Wiederherstellung der Berufsfähigkeit eine Pflicht zur Schadensminderung ergeben. Es gilt aber, dass eine Behandlungsobliegenheit oder eine Schadensminderungspflicht immer nur in einem zumutbaren Rahmen erfolgen darf (siehe auch: Vertragliche Obliegenheit zur Schweigepflichtentbindung? (BVerfG)). Weitere Artikel unter: Berufsunfähigkeitsversicherung

Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht.