Aktienmärkte spiegeln nicht die Realwirtschaft wider
20.05.2020
Joseph V. Amato, Chief Investment Officer Equities bei Neuberger Berman Foto: © Joseph Amato
Starke Streuung
Vielleicht ist es gar nicht so seltsam, wie es scheint. Einige Indexwerte – die sehr zyklischen, konjunktursensitiven Titel – scheinen genauso unter die Räder gekommen zu sein wie die Wirtschaft. Am 15. Mai hatten Finanzwerte seit Jahresbeginn über 30 Prozent verloren, und der Automobilsektor mehr als 40 Prozent. Überdeckt wird dies durch die Wertentwicklung nicht zyklischer Titel, wie Gesundheits- und Konsumverbrauchsgüter-Werte sowie die gute Performance von Unternehmen, die eigentlich konjunktursensitiv sind, uns aber jetzt bei der Lösung wichtiger Probleme helfen. Dazu gehören Technologie- und E-Commerce-Werte einschließlich jener Stars, die für den Mehrertrag des S&P 500 gesorgt haben.
Seit der Jahrtausendwende ist der Anteil solcher defensiven, wachstumsstarken Technologiewerte und anderer nicht zyklischer Aktien an der Marktkapitalisierung des S&P 500 auf 70 Prozent gestiegen. Die Analysten rechnen damit, dass ihre Gewinne im zweiten Quartal „nur“ um 13 Prozent fallen – und nicht um 71 Prozent wie bei Finanzwerten und Zyklikern. Bei anderen Aktienindizes sind die Unterschiede ähnlich groß. Der S&P 500 wird von Mega Caps bestimmt, während rund 45 Prozent des US-BIP auf kleinere Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten entfallen. Anders als der S&P 500 ist der Russell 2000 Index mit seinen Small und Mid Caps seit Jahresbeginn dann auch um fast 30 Prozent gefallen.
Um es noch deutlicher zu machen: Der Russell 1000 Growth Index, ein Large-Cap-Index, hat seit Jahresbeginn weniger als drei Prozent verloren, der von Finanzwerten und Zyklikern dominierte Russell 2000 Value Index mit seinen Small Caps hat hingegen fast 40 Prozent verloren.
Kein Aktienindex ist vor Verlusten gefeit
Fassen wir zusammen: Der S&P 500 ist nicht die Volkswirtschaft. Zwar scheint es, als habe COVID-19 die Korrelation zwischen Aktien und Wirtschaft geschwächt, aber besonders stark war sie ohnehin noch nie.
Es sollte uns daher nicht überraschen, dass sich der S&P 500 trotz miserabler Konjunkturdaten so gut gehalten hat. Immun gegen das Virus ist er aber nicht. Irgendwann werden sich Fundamentaldaten und Finanzmärkte wieder annähern.
Wir gehen davon aus, dass COVID-19 so schnell nicht vorbei ist und es noch einige Zeit braucht, bis die Wirtschaft die Verluste wieder aufgeholt hat. Wenn selbst die Gewinne der stabilsten Unternehmen in nur einem Quartal zweistellig fallen, zeigt dies, wie groß der Konjunkturschock ist. An keinem Aktienindex geht das spurlos vorüber. Die letzte Woche bot darauf bereits einen Vorgeschmack. (ah)