Konjunktur: „Brexit“ – We are not amused

10.07.2016

Sören Wiedau / Foto: © Weberbank

Renten: Renditen im Sinkflug, Aktien: Nervösität steigt: „Alea iacta est“, der Würfel ist gefallen. Die Briten haben sich für einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) entschieden.

Europa ist darüber „not amused“. Jetzt gilt es für alle Beteiligten mit dieser Entscheidung umzugehen und eine klare Strategie für die bevorstehenden Verhandlungen zu entwerfen. Jede Verzögerungstaktik führt zu anhaltender Ungewissheit, die die Finanzmärkte belastet. Welche Auswirkungen der „Brexit“ auf die europäische und insbesondere die britische Konjunktur sowie für den politischen Zusammenhalt innerhalb der EU hat, ist momentan schwer abzuschätzen und lässt sich erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung besser eingrenzen. Für die nächsten Monate sollte man stärker auf die konjunkturellen Vorlaufindikatoren wie z.B. die Stimmungsindikatoren schauen. Eine starke Eintrübung dieser Indikatoren könnte sich auf die Realwirtschaft negativ auswirken. Vor allem in Grossbritannien sollte es zu einer wirtschaftlichen Eintrübung kommen. Hier ist sogar eine Rezession, also mindestens 2 aufeinanderfolgende negative Quartalswachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes (BIP), nicht auszuschließen. Aber auch für die Eurozone sind negative Konsequenzen zu erwarten. Nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) wird der Brexit das Wachstum in der gesamten Eurozone in den kommenden 3 Jahren um 0,3 bis 0,5 % geringer ausfallen lassen als bei einem Verbleib. Für die amerkanische Wirtschaft und die Weltwirtschaft sollten sich aus unserer Sicht die realwirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits in engen Grenzen halten. Betrachtet man abseits des Brexits die Konjunkturdaten aus Europa, so fielen diese ganz erfreulich aus. Zwar hat sich die Stimmung bei den Unternehmen und Konsumenten im Juni leicht eingetrübt, sie ist aber nach wie vor als gut zu bezeichnen. Der starke Anstieg des Einkaufsmanagerindex aus dem verarbeitenden Gewerbe überraschte die Marktteilnehmer. In Deutschland fiel die Zahl der Arbeitslosen aufgrund der guten Konjunkturlage auf den tiefsten Stand seit 25 Jahren. Auch die Einzelhandelsumsätze stiegen kräftiger als von den Volkswirten erwartet. Aus Amerika kamen ebenfalls positive Zahlen. So hat sich das Konsumentenvertrauen deutlich erholen können und der vom Forschungsinstitut Conference Board erhobene Stimmungsindex stieg auf den höchsten Stand seit Oktober 2015. Auch die Konsumausgaben sind das 2. Mal in Folge gestiegen. Die Rentenmärkte aus den Kernländern profitieren von der Flucht in Sicherheit. Sowohl die Renditen der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe als auch der amerikanischen 10-jährigen Staastanleihe fielen auf historische Tiefstände. In Japan rutschte die 20-jährige und in der Schweiz sogar die 50-jährige Rendite in den negativen Bereich. Mit dem Brexit wurden auch die Erwartungen an die weitere Geldpolitik der USA nochmals nach unten angepasst. Mittlerweile gehen die Marktakteure davon aus, dass eine Leitzinserhöhung in diesem Jahr höchst unwahrscheinlich ist. Insgesamt bleibt der deutsche Rentenmarkt aufgrund der geldpolitischen Maßnahmen der EZB, der Hoffnung auf eine Ausweitung der EZB-Aktionen sowie der Suche nach Sicherheit gut unterstützt. Aus Chancen- und Risikogesichtspunkten befürworten wir weiterhin Unternehmens- und Schwellenländernanleihen. Seit der Brexit-Entscheidung der Briten herrscht an den europäischen Aktienmärkten hohe Verunsicherung. Während sich die Aktienindizes in Europa nach einer kurzen Erholungsphase wieder auf Tauchstation begeben, können sich andere Indizes wie z.B. der britische Aktienmarkt (FTSE 100) besser halten. Hier wirkt sich der starke Rückgang des englischen Pfunds gegenüber anderen Währungen positiv aus. Die Unternehmen des FTSE 100 generieren über 70 % ihrer Umsätze außerhalb von Großbritannien und können somit überproportional von einem schwächeren Pfund-Kurs profitieren. Insgesamt sind die Risiken durch den Brexit gestiegen. Negative Gewinn-Auswirkungen – insbesondere für europäische Unternehmen – sind zu befürchten. Auch die Gewinnprognosen der Analysten, die noch von einem 10 %-igen Gewinnwachstum der europäischen Unternehmen im nächsten Jahr ausgehen, stehen unserer Meinung nach auf der Kippe. Wir gehen für die nächsten Monate von hohen Schwankungen der Aktienmärkte aus. Auf der einen Seite stehen politische und ökonomische Unsicherheiten, auf der anderen Seite die Notenbanken, die bereit sind geldpolitisch noch expansiver zu werden oder ihren begonnenen Zinserhöhungszyklus ggf. auszusetzen (Fed). In diesem schwierigen Umfeld halten wir vorerst eine defensive Aktienpositionierung für gerechtfertigt. Dies beinhaltet einen höheren Anteil an amerikanischen Aktien, eine kurzfristig höhere Kassehaltung sowie eine Beimischung von Gold.

Autor: Sören Wiedau, Weberbank AG