Freie Handelsvertreter und Insolvenz: Was passiert mit dem Handelsvertreterausgleich?

30.11.2021

Rechtsanwalt Tim Banerjee / Foto: © Banerjee & Kollegen

Immer wieder versuchen Gesellschaften, nach Auflösung eines Vertrags diesen Handelsvertreterausgleich zu kürzen oder komplett einzubehalten. Das ist meistens nicht zulässig, auch nicht in Sondersituationen wie der Insolvenz des Handelsvertreters.

Es kann nicht oft genug gesagt und geschrieben werden: Der Handelsvertreterausgleich als die Vergütung, die zum Ende des Vertragsverhältnisses zwischen Handelsvertreter und einem Unternehmen gezahlt wird, um die Vorteile auszugleichen, die der Handelsvertreter dem Unternehmen eingebracht hat, ist ein wiederkehrender Streitpunkt. Immer wieder versuchen Gesellschaften, nach Auflösung eines Vertrags diesen Handelsvertreterausgleich zu kürzen oder komplett einzubehalten.

Das Recht ist meistens nicht auf ihrer Seite, wie eine Vielzahl von Gerichtsurteilen zeigt. Das gilt auch in Sondersituationen wie der Insolvenz des Handelsvertreters. Zum einen muss man herausstellen: Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Handelsvertreters führen nicht dazu, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien automatisch endet. Ebenso bedingt die Insolvenz keinen unmittelbaren außerordentlichen Kündigungsgrund, der dazu führen würde, dass einem Handelsvertreter seine Ausgleichszahlung im Kündigungsfalle nicht zusteht. Mit dem Ausgleichsanspruch hat der Gesetzgeber für freie Handelsvertreter einen Sicherungsmechanismus geschaffen. Aufgrund dieser Regelungen im Handelsgesetzbuch stehen dem Handelsvertreter nach Ende seines Vertrages mit einer Gesellschaft Bestandszahlungen zu. Diese HGB-Regelung wird durch eine Insolvenz, in deren Folge eine Gesellschaft den Vertrag einseitig beenden will, nicht aufgehoben.

Insolvenz nicht grundsätzlich als Verschulden des Handelsvertreters anzuerkennen

Der Ausgleichsanspruch kann nur versagt werden, wenn der Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters zugrunde lag. Das Oberlandesgericht München beispielsweise hat in einem solchen Fall entschieden, dass eine Insolvenz nicht immer vom Handelsvertreter verschuldet sein müsse. Denkbar seien auch äußere Einflüsse oder unternehmerische Fehlentscheidungen. Daher hat das OLG München (24.11.2004 Az. 7 U 1518/04) abgelehnt, eine Insolvenz grundsätzlich als Verschulden des Handelsvertreters anzuerkennen und erkennt dementsprechend darin auch keinen Grund, den Ausgleichsanspruch nicht zu zahlen.

Auch das Recht zur außerordentlichen Kündigung im Insolvenzfalle ist nicht automatisch gegeben, hat das OLG Hamm (09.06.2004 Az. 35 W 5/04) geurteilt. Notwendig sei immer eine Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Sobald die Insolvenz jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die Leistungen des Handelsvertreters oder auf die Kundenbeziehungen hat (etwa aufgrund von Imageproblemen oder der Verwertung betriebsnotwendiger Gegenstände), ist das Recht zur außerordentlichen Kündigung gegeben.

Bahnbrechendes Urteil beim Oberlandesgericht Köln

Das hat jetzt auch das Oberlandesgericht Köln deutlich gemacht (Beschluss vom 01.03.2021, Az.: 19 U 148/20) und damit ein erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Köln bestätigt (Az.: 89 O 21/20). Geklagt hatte ein Insolvenzverwalter im Rahmen der Regelinsolvenzverwaltung über das Vermögen eines freien Handelsvertreters. Der Kläger war wegen Steuerhinterziehung zu 180 Tagessätzen verurteilt worden. Daraufhin hatte seine Auftraggeberin, eine Versicherung, ihn fristlos gekündigt und wollte den Ausgleich nach 14 Jahren Tätigkeit nicht zahlen.

Sowohl das Landgericht Köln als auch das Berufungsgericht haben die Verpflichtung zur Zahlung des Handelsvertreterausgleichs aber bejaht. Die Versicherungsgesellschaft muss diese in einer sechsstelligen Höhe zu zahlen. Das Geld fließt in die Insolvenzmasse zur Erhöhung der Gläubigerquote. Der Hintergrund: Insbesondere, wenn eine Vorstrafe oder ein sonstiges Handeln nichts mit dem Vertragsverhältnis zu tun haben, darf es nicht zum Entfall des Ausgleiches kommen. Es wurde nur ein Billigkeitsabzug in Höhe von 25 Prozent vorgenommen, da die Verhältnisse des Handelsvertreters tatsächlich gänzlich ungeordnet waren. Auszuzahlen waren also 75 Prozent des Ausgleiches.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei Kündigung berücksichtigen

Das Oberlandesgericht Köln verweist in seiner Urteilsbegründung deutlich darauf, dass die Versagung des Handelsvertreterausgleichs voraussetzt, dass das Unternehmen das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag. Die Gründe müssten derart schwerwiegend sein, dass gelte Fortsetzung des Handelsvertretervertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden könne. Es gilt im Rahmen einer Interessenabwägung ebenso festzustellen, ob die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses für die Gesellschaft wirklich unzumutbar sei. Dabei sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen. Die Versicherungsgesellschaft war nach Ansicht des Gerichts nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat. Insofern genüge eine mittelbare Ausstrahlungswirkung nicht für die fristlose Kündigung.

Das Oberlandesgericht Köln hat erstmalig klarstellt, dass die Kündigungsgründe das Vertragsverhältnis betreffen müssen und nicht etwa in der Privatsphäre oder Lebensführung des Handelsvertreters liegen sollen, um einen Entfall des Ausgleichsanspruches zu rechtfertigen. Das bedeutet: Die Insolvenz des Handelsvertreters führt nicht unmittelbar zum Entfall des Handelsvertreterausgleichs. Die Position des Oberlandesgerichts Köln macht es für Gesellschaften nochmals schwieriger, den Entfall des Ausgleichsanspruches zu argumentieren. Die Chancen für Handelsvertreter, auch bei einer fristlosen Kündigung durch den Auftraggeber den Handelsvertreterausgleich zu erhalten, sind sehr groß, selbst bei einer tendenziell schwierigen Ausgangslage.

Gastbeitrag von Tim Banerjee, Rechtsanwalt Wirtschaftskanzlei Banerjee & Kollegen, u.a. spezialisiert auf Vertriebs- & Versicherungsrecht, Mönchengladbach