Die Kukident-Liga

25.11.2013

Foto: © Sashkin

Um die Qualität der gesetzlichen Krankenversicherung ist es schlechterbestellt, als Vertreter dieser Branche stets behaupten. Mehr als Basisvorsorge gibt´s dort schon heute nicht. Und medizinisch notwendige Leistungen werden häufig verweigert. Mehr Trümpfe können Makler bei Beratungsgesprächen kaum in der Hand haben. Zumal jetzt auch noch die Krankenhauskosten gesenkt werden müssen. Privatpatienten dürften davon nicht betroffen sein.

Der Zahnarzt fackelte nicht lange. Als Jürgen Philippi* aus Köln mit einer dramatisch geschwollenen linken Gesichtshälfte in seine Praxis kam, wusste er sofort, dass der OP-Termin beim Kieferchirurgen keinen Aufschub mehr duldete. Eigentlich war der erst in einer Woche geplant, doch auch das Telefonat mit dem Kollegen war eindeutig. Der Patient solle sich sofort in ein Taxi setzen und zu ihm kommen. Entfernt werden musste das gesamte entzündete Gewebe im linken Unterkiefer, der Eingriff könne gerne unter Sedierung vorgenommen werden. Wozu Philippi sich sofort auch entschied – und dafür 70 Euro zahlen musste. Gesetzliche Krankenversicherung 2013. Es sollte nicht die letzte böse Überraschung sein. Denn natürlich war die Entzündung nicht aus heiterem Himmel gekommen, auch am Gebiss müsse dringend nachgebessert werden, eröffnete ihm eine Woche später sein Zahnarzt. Insgesamt drei Implantate seien erforderlich und vier Kronen. „Haben Sie denn eine private Zusatzversicherung?" Auf diese Frage war der gute Mann natürlich vorbereitet. Und verneinte prompt. Dann, so der Arzt, müsse er die Implantate selbst bezahlen, weil dies keine Kassenleistung sei. Es käme in diesem Fall nur eine herausnehmbare Teilprothese in Frage. Und für drei der Kronen im Seitenbereich Metall, immerhin im Silberlook. Für die vierte Krone weiter vorne bezahle die Kasse eine zahnfarbene Kunststoffverblendung. Jedoch nur an der direkt sichtbaren Vorderseite. Anhand eines Demo-Gebisses zeigte der Doktor, auf was sich Philippi einzustellen habe. Der dachte nur an eines: an den Beißer aus dem Bond-Film „Der Spion, der mich liebte". Vielleicht würde er ja erst noch ein bisschen was zusammensparen.

Hochglanzbroschüren der gesetzlichen Kassen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Versorgung durch sie häufig nicht mal Zweite Bundesliga ist – vielfach kommt sie über Kreisklassenniveau nicht hinaus.

Längst ist wahr, wovor Kritiker bei Einführung einer Bürgerversicherung vor der Bundestagswahl immer wieder gewarnt hatten. Mehr als Grundversorgung können die Versicherten nicht erwarten. Und wer sich keine private Zusatzversicherung leisten kann, muss eben mit dem leben, was ihm die Kasse vorsetzt. Und selbst dann zeigen sich viele von ihnen immer abwehrender. Das ist eine Steilvorlage für PKV-Makler. Denn bessere Argumente als die GKV selbst kann ihnen bei der Beratung zu privaten Zusatzpolicen niemand liefern.

Zwar hocken die gesetzlichen Krankenkassen auf Reserven von mittlerweile rund 30 Milliarden Euro. Dennoch sind ihnen die Kunden am liebsten, die erst gar keine Ansprüche stellen. Sei es beim Krankengeld, der Genehmigung von Hilfsmitteln oder der Bewilligung von Reha-Maßnahmen. Die Devise lautet offenbar: Sparen auf Teufel komm raus, Hauptsache Zusatzbeiträge vermeiden. Die nämlich sind im Wettbewerb untereinander das reinste Gift. Schon gibt es erste wissenschaftliche Untersuchungen zum psychologischen Effekt dieser Zusatzbeiträge auf die Kundschaft. Sie fallen für schlecht wirtschaftende Kassen nicht gerade schmeichelhaft aus. Wie ernst die Lage für gesetzlich versicherte Kranke in Deutschland tatsächlich ist, zeigen die statistischen Zahlen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), von Kritikern auch schon mal als Inquisition der GKV bezeichnet. Dessen Aufgabengebiet umfasst auch die Überwachung vermeintlich gesunder Kranker.

Von denen scheint es in Deutschland ganze Heerscharen zu geben. Denn bei rund 1,5 Millionen Krankmeldungen haben die Kassen ihren Mitgliedern nicht über den Weg getraut. Sie ließen den MDK untersuchen, ob die Menschen tatsächlich nicht zur Arbeit gehen konnten oder sich nur drücken wollten. In etwa einer Viertelmillion der Fälle (16 %) kamen die Tester zum Schluss, es handele sich um Simulanten. Woraufhin es natürlich kein Krankengeld gab. Unter die Lupe genommen hatten die Prüfer des MDK auch fast 700.000 Anträge auf eine Rehabilitation. Sie taten dies offenbar mit der Rasenmäher-Methode. Bei sage und schreibe 39 % der fachärztlichen Verordnungen lägen die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht vor, so ihr Befund. In 270.000 Fällen müssen demnach die betroffenen Ärzte geschludert haben oder schlicht und einfach mit ihren Kenntnissen überfordert gewesen sein. Dies wäre, wenn es denn zuträfe, allerdings ein katastrophales Zeugnis für den medizinischen Sachverstand in der Republik. Ähnlich vernichtend mutet die Statistik des MDK im Bereich Hilfsmittel an. Eine halbe Million Gutachten wurde von den Kassen in Auftrag gegeben. 185.000 Mal ging der Daumen nach unten.

Von April 2012 bis zum März dieses Jahres hatten sich allein bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) über 14.500 Kassenpatienten über den rüden Umgang mit ihnen beschwert.

Im Zentrum stand dabei die Frage, ob Leistungen unberechtigt abgelehnt worden seien. UPD-Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler fordert von den Versicherten mehr Offensive: „In der Beratung sehen wir, dass viele Patienten ihre Rechte nicht kennen, geschweige denn einfordern." Einen selbstbewussten Umgang mit Ärzten oder Krankenkassen trauten sich viele Ratsuchende nicht zu. Sie glaubten, dass sie als Patienten keine Chance hätten. Dabei können sie durchaus immer ein zweites Gutachten einfordern.

Doch es sind nicht immer nur die Kassen oder der Medizinische Dienst – viele Beschwerden erreichen die Patientenberatung auch hinsichtlich der ärztlichen Betreuung. Mal geht es um hohe Rechnungen vom Zahnarzt, mal um die dünn gesäten Psychotherapie-Plätze. Immer mehr Zahnärzte zeigen jedoch auch ein Einsehen mit GKV-Mitgliedern, wenn es um den Zahnersatz geht. Sie lassen sich bei Kosten, die sie nicht von der GKV erstattet bekommen, auf Ratenzahlungen ein. Ein gutes Bild von der gesetzlichen Versorgung ist das nicht. Die Bertelsmann-Stiftung hat im vergangenen Jahr die Zufriedenheit von knapp 4.500 GKV- und mehr als 800 PKV-Versicherten untersucht. Fazit: „GKV-Versicherte geben signifikant häufiger einen weniger guten oder schlechten Gesundheitsstatus an als PKV-Versicherte." Dabei geht es nicht nur um längere Wartezeiten in der Praxis, häufig genannt wurde auch das geringere Vermögen des Arztes, auf Fragen einzugehen und Erkrankungen sowie die daraus erforderlichen Therapien zu erläutern. An erster Stelle steht jedoch laut Gesundheitsmonitor 2012 der Stiftung Grundsätzliches: „Um die zukünftige medizinische Versorgung machen sich GKV-Versicherte wesentlich mehr Sorgen, und die Unterschiede zu PKV-Versicherten sind größer als in allen anderen analysierten Feldern." Dies schließe zum Beispiel künftige Leistungserstattungen, Wartezeiten auf bestimmte Therapien oder Operationen mit ein.

Oft kommt es aber nicht mal zu einem ersten Gutachten. Carlo Farmente* machte diese Erfahrung mit seiner Kasse. Der gelernte Tischler litt schon seit Jahren an Osteoporose. Zweimal mussten gebrochene Rückenwirbel operativ stabilisiert werden, zudem musste er regelmäßig Medikamente zu sich nehmen. Sein behandelnder Arzt, ein Endokrinologe aus München, hatte ihm deshalb dringend zu einem Rückentraining geraten. Dies stabilisiere die Muskulatur und beuge so weiteren Krankheitsfolgen vor. Und das Gute: Manche Kassen übernähmen die Kosten fürs regelmäßige Training. Wofür es auch einen eigentlich einleuchtenden Grund gibt. Prävention ist allemal besser und für die Kassen auch preiswerter als Krankenhausaufenthalte, Operationen, Nachsorgekosten und Krankengeld für vielleicht viele Monate. Derart mit Argumenten gerüstet, machte sich Farmente auf zur für ihn zuständigen Geschäftsstelle seiner Krankenkasse. Ob er denn akut unter Brüchen leide, wurde er gefragt. Der Bayer verwies darauf, dass dies nicht der Fall sei, seine Verletzungen schon drei und vier Jahre zurücklägen, er aber vorbeugen wolle. Seine Bitte wurde daraufhin abgelehnt, ein Muskelaufbau-Kurs käme nur bei akuten Fällen in Betracht.

Mit welchen Waffen manche Krankenkassen offenbar den Kampf ums Geld führen, zeigte kürzlich ein Bericht der Rheinischen Post. Danach hat ein Anbieter wohl Probleme mit der hausinternen Datenerfassung. So explodierte bei ihm binnen Jahresfrist die Zahl der Herzinfarkte unter seinen Mitgliedern um sage und schreibe 280 %. Quer über alle Unternehmen hinweg lag der Anstieg hingegen bei unter 1 %. Das soll jedoch nur eine von vielen Merkwürdigkeiten sein. Das Bundesversicherungsamt habe bei 59 der insgesamt 134 Kassen grobe Auffälligkeiten entdeckt. Eine Kasse registrierte im vergangenen Jahr plötzlich 30 % mehr Hautgeschwüre als noch 2011. Marktweit lag der Anstieg jedoch nur bei 1,5 %. Schuld an solchen Mogeleien ist möglicherweise der Gesundheitsfonds. Je älter und kränker die jeweils eigenen Mitglieder sind, umso mehr Geld gibt es aus diesem Topf. Im Visier der Prüfer des Bundesversicherungsamtes stehen ganz besonders die Betriebskrankenkassen. Sie hatten in der Vergangenheit besonders aggressiv mit einem Verzicht auf Zusatzbeiträge um Kundschaft geworben.

Als Karl Lauterbach, Verhandlungsführer der Sozialdemokraten für den Bereich Gesundheitspolitik in den Koalitionsgesprächen, vor wenigen Tagen erste Ergebnisse verkündete, zeigte er sich enttäuscht: „Das Zwei-Klassen-System zwischen GKV und PKV bleibt unverändert erhalten." Und die Bürgerversicherung sei erst mal vom Tisch. Zudem geht aus dem vorläufigen Ergebnis zum Thema Gesundheit hervor, dass die Kliniken angesichts einer sich bei der Mehrzahl von ihnen zuspitzenden Finanzlage zu mehr Kosteneffizienz angehalten werden sollen. Auswirken dürfte sich dies vor allem auf die Versorgung gesetzlich Krankenversicherter. Für PKV-Vermittler könnte es wahrlich schlechtere Nachrichten geben.

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* Name von der Redaktion geändert_

(Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)

Was ist die GKV wert? - Printausgabe 06/2013