Der Gelbe Schein
01.03.2015
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Lange Zeit wurde die Leistung bei sechsmonatiger Krankschreibung von den meisten Versicherern als Marketing-Gag abgetan. Mittlerweile finden sich allerdings schon neun Anbieter dieser Regelung am Markt und auch immer mehr Anhänger unter den Vermittlern.
Stephan Kaiser von der BU-Expertenservice GmbH und Philip Wenzel von der freche versicherungsmakler GmbH & Co. KG untersuchen die Bedingungen aller Klauseln, die derzeit am Markt verfügbar sind.
Die Regelung der sogenannten Arbeitsunfähigkeits-(AU)-Klausel verspricht grundsätzlich einen einfacheren Zugang zur Leistung, da keine Einschränkung der Berufsfähigkeit (BU) von mindestens 50 % nachgewiesen werden muss. Gerade für Berufe mit geringer körperlicher Tätigkeit kann dies ein ausschlaggebendes Argument sein. Ein weiterer Vorteil dieser Klausel wäre die Vereinfachung der Leistungsbeantragung. Wenn nicht haufenweise Fragebögen zu Beruf und Gesundheitszustand ausgefüllt werden müssen, sondern ganz einfach die Krankschreibungen von sechs zusammenhängenden Monaten eingereicht werden und so die Rentenzahlung ausgelöst wird, ist das eine deutliche Erleichterung des Zugangs zur Leistung. Die derzeit angebotenen Lösungen unterscheiden sich an der Oberfläche nur durch eine unterschiedliche Leistungsdauer und -höhe und versprechen unisono Leistung der Rente wegen Berufsunfähigkeit aufgrund von Arbeitsunfähigkeit. In den Bedingungen finden sich allerdings noch weitere Unterschiede, die den Zugang zur Leistung mehr oder weniger erschweren, weswegen die Qualität der Klausel entsprechend höher oder niedriger einzustufen ist.
Sofern der Versicherer den Begriff der Arbeitsunfähigkeit selbst definiert, kann er gegebenenfalls auch anhand seiner Definition das Vorliegen des Leistungsauslösers prüfen. Ist diese Definition zu ungenau, dann hat er entsprechend Interpretationsspielraum. Erklärt die Gesellschaft in den Bedingungen, Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn die versicherte Person aus Krankheitsgründen ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausführen könne, sollte wenigstens noch geklärt werden, in welchem Umfang die Arbeitsunfähigkeit vorliegen muss. Ansonsten könnte der Versicherer auch dann die Leistung verweigern, wenn Krankschreibungen für sechs Monate vorliegen, aber eine hundertprozentige Arbeitsunfähigkeit noch nicht. Die Regulierungspraxis ist derzeit zwar eine andere, aber die Bedingungen würden diese Auslegung zulassen.
Die meisten Anbieter definieren den Begriff der Arbeitsunfähigkeit allerdings überhaupt nicht, sondern leisten bei Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, die umgangssprachlich als „Gelber Schein" bekannt ist. Hier muss unterschieden werden, ob eine Bescheinigung verlangt wird, wie sie in § 5 EntgFG vorgesehen ist, eine Bescheinigung, die den Anforderungen des § 5 EntgFG entspricht oder ob ausdrücklich geregelt ist, dass bei Selbstständigen, mitarbeitenden Betriebsinhabern und Beamten der entsprechende Nachweis gelte. Die erste Formulierung ist im Zweifel nachteilig für die Gruppe der Selbstständigen und Beamten, da sich § 5 EntgFG nur auf Arbeitnehmer bezieht. Sauber gelöst haben das die ALTE LEIPZIGER, die Continentale, die Gothaer, die LV 1871 und die Nürnberger.
Auch wenn die AU-Klausel immer den Anschein eines vereinfachten Zuganges zur Leistung suggeriert, verlangen sechs der neun Anbieter eine formelle Antragsstellung auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder zumindest über die Mitwirkungspflichten des Versicherungsnehmers in den Bedingungen die Einreichung derselben Formulare wie bei Antragstellung auf BU-Rente. Bekanntermaßen kommt ein großer Teil der Anträge auf BU-Renten deswegen nicht zur Leistung, weil die notwendigen Unterlagen nicht beigebracht werden (können). Diese Hürde ist bei zwei Dritteln der Anbieter einer AU-Klausel in gleicher Weise zu nehmen. Nur die ALTE LEIPZIGER, die LV 1871 und die Nürnberger verzichten auf die Antragstellung einer BU-Rente.
Auch sollte darauf geachtet werden, dass die Arbeitsversuche gemäß § 74 SGB V eindeutig geregelt sind. Normalerweise liegen diese Wiedereingliederungsversuche zwar innerhalb des Zeitraumes, der durch den Gelben Schein gedeckt ist, aber eine bedingungsseitig eindeutige Regelung ist dennoch wünschenswert. Eine entsprechende Formulierung findet sich bei der ALTEN LEIPZIGER, der Condor, der LV 1871 und dem VOLKSWOHL BUND.
Das größte Problem der AU-Klausel liegt in der Überprüfbarkeit der vereinbarten Ausschlüsse und der vorvertraglichen Anzeigepflicht. Der Gelbe Zettel darf nämlich aus Datenschutzgründen keine Diagnose oder Krankheitsbilder angeben, weshalb die Werbeversprechen der Versicherer grundsätzlich nicht einzulösen sind. Für diejenigen, die von vornherein nicht auf die Antragstellung einer BU-Rente verzichten, ergibt sich hier auch kein weiteres Problem, da ja sowieso die volle Prüfung stattfindet. Deswegen sollen hier nur die Lösungen der drei Anbieter geprüft werden, die auf Antragstellung der BU-Rente verzichten.
Bedingungsgemäß weniger gut gelöst ist es, wenn der Versicherer erklärt, dass er berechtigt sei, eine Prüfung wegen Berufsunfähigkeit durchzuführen. Sauberer ist die Lösung der Nürnberger und der LV 1871, die zusätzlich zum Gelben Schein noch eine Diagnose verlangen. So ist eine grobe Überprüfung der Ausschlüsse und der vorvertraglichen Anzeigepflicht möglich. In der Regulierungspraxis verzichten diese Anbieter wahrscheinlich sogar auf eine strenge Prüfung, da der Leistungszeitraum und damit die Höhe der zu bildenden Rückstellungen den Aufwand eher nicht rechtfertigen würden.
Unabhängig von den einzelnen Regelungen in den Bedingungen müssen aber vor allem Selbstständige, die eine private Krankentagegeld-Versicherung abgeschlossen haben, prüfen, inwieweit eine Leistung aus einer AU-Klausel als „sonstiges Krankengeld" nach § 4 Nr. 2 MB/KT anzusehen ist und somit anzurechnen wäre. Sollte der Krankentagegeld-Versicherer diese Ansicht teilen, ist es zu überlegen, ob nicht sinnvoller eine Versicherung zu wählen wäre, die nur 30 % bei Krankschreibung leistet, um nicht inklusive der Leistung aus der Krankentagegeld-Versicherung über das durchschnittliche Nettoeinkommen der letzten zwölf Monate zu kommen. Eine abschließende Rechtsprechung gibt es hierzu noch nicht, dennoch empfiehlt es sich, auch in Hinblick auf § 9 Nr. 6 MB/KT, den Abschluss bei der bestehenden Krankentagegeld-Versicherung zu melden, um den Ärger im Nachhinein zu vermeiden.
Grundsätzlich kann die ergänzende AU-Klausel eine wichtige Leistungsverbesserung zur Arbeitskraft-Absicherung sein. Man sollte vor Abschluss aber neben den Bedingungen auch unbedingt seine eigenen Erwartungen an den Versicherungsschutz prüfen. Nur so lässt sich abschließend beurteilen, ob die Klausel im Einzelfall tatsächlich sinnvoll ist oder nicht.
(Stephan Kaiser, Geschäftsführer BU-Expertenservice GmbH
Philip Wenzel, freche Versicherungsmakler GmbH & Co. KG)