Windgutachten – weniger ungenau

16.09.2013

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Ein Gutachten sorgt für Aufregung: Weil das Windpotenzial überschätzt wurde, bringen viele Windparks Anlegern nicht die erhofften Erträge.

„Verblasenes Anlagekapital": Unter dieser Überschrift berichtete „die tageszeitung" (taz) im Juli über ein Gutachten des Kasseler Steuerberaters Werner Daldorf. Er ist nach Auswertung von mehr als 1.150 Jahresabschlüssen von 175 Windparks zu dem Ergebnis gekommen, dass viele Windparks in Deutschland Anlegern nicht die prognostizierten Erträge bringen. Daldorf ist zugleich Vorsitzender des Anlegerbeirats des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Anleger hätten zwischen 2002 und 2011 im Durchschnitt Ausschüttungen von 2,5 % p. a. erhalten: Über die Jahre waren dies 25 % ihrer Einlage, während nach den Prospekten zwischen 60 bis 80 % versprochen wurden. Die Windstrom-Erlöse der analysierten Parks hätten im Durchschnitt nur 86 % der prospektierten Umsätze erreicht. Für die Mindererträge sei eine „systematische Überschätzung des Windertragspotenzials" ausschlaggebend.

Auch wenn Finanzvermittler und vermögende Privatanleger nicht zur Stamm-Leserschaft der „taz" gehören, wird diese Nachricht viele erreicht und aufgeschreckt haben. Daldorf untersuchte allerdings nur Windparks, die bis 2006 errichtet wurden. In den vergangenen Jahren sind die Windprognosen zuverlässiger geworden – sagen die Initiatoren von Windfonds: „Bis 2006 hat es anscheinend öfter Windgutachten gegeben, bei denen das gebotene Vorsichtsprinzip unterschiedlich stark Berücksichtigung fand. Auch die Gutachterszene hatte im verhältnismäßig jungen Segment der erneuerbaren Energien eine Lernkurve zu beschreiten", versucht Michael Thöne, Geschäftsführer Contrium Cleantech, die Ergebnisse des Gutachtens zu erklären. Das Emissionshaus hat mit dem Private Placement „Contrium 6" vor kurzem sein erstes Windprojekt gestartet, investiert wird in eine Windkraftanlage in der Eifel. Nach Thönes Einschätzung ist das Bewusstsein für die Bedeutung von Windgutachten deutlich geschärft worden. „Hinzu kommt, dass über die Jahre immer mehr Windkraftanlagen in Betrieb sind und Ertragsdaten liefern, so dass die Basis für Windgutachten signifikant besser geworden ist", sagt er. Zudem würden in den Prognoserechnungen konservativ kalkulierter Beteiligungsangebote üblicherweise deutliche Sicherheitsabschläge auf die Gutachtenwerte vorgenommen. Dr. Claus-Eric Gärtner, Leiter des Geschäftsbereichs Energie und Umwelt bei BVT, bestätigt, dass inzwischen Langzeitdaten über die Produktion tausender Anlagen vorliegen: „Die Windgutachter lassen die Erkenntnisse daraus ständig in ihre Arbeit einfließen, die in den letzten Jahren deutlich besser geworden ist." Das Grundproblem aber bleibe: „Man rechnet aus Vergangenheitsdaten in die Zukunft. Ich würde daher nicht von ‚genauer", sondern lieber von ‚weniger ungenau' sprechen."

Der BWE versucht derweil, die Bedeutung des Daldorf-Gutachtens zu relativieren: „Die Untersuchung war nicht repräsentativ. Jahresabschlüsse sind nicht frei einsehbar. Herrn Daldorf wurden verständlicherweise vor allem Jahresabschlüsse von problematischen Windparks übersandt. In Deutschland stehen mittlerweile knapp 25.000 Windräder. Die allermeisten Projekte sind rentabel", erklärt BWE-Präsidentin Sylvia Pilarsky-Grosch gegenüber finanzwelt. Es gebe allerdings keine hundertprozentige Garantie für ein rentables Projekt: „Wer das braucht, sollte sein Geld auf ein Sparbuchlegen, statt in Fonds zu investieren." Anleger sollten in Fondsprospekten genau auf die Windgutachten schauen, rät Pilarsky-Grosch. Ein Prospekt ohne mehrere Windprognosen sei nicht seriös.

Bereits in früheren Jahren sind mehrere Fonds in Schwierigkeiten geraten, weil Fehler in der Windprognose gemacht wurden. Viele Vermittler haben deshalb noch heute wenig Vertrauen in diese Assetklasse. Durch die Ergebnisse des Daldorf-Gutachtens fühlen sie sich jetzt bestätigt. Nach Einschätzung von Thöne lässt sich Vertrauen am besten durch konservativ kalkulierte Angebote und Kommunikation zurückgewinnen. „Die Windkraftanlage des ‚Contrium 6' ist bereits im Bau und nicht erst projektiert. Interessenten können sich selbst ein Bild vom Fortschrittmachen – der eine oder andere ist bereits zum Standort gefahren", sagt er. Anleger des „Direkt Invest Polen 8" von elbfonds Capital müssten für eine Vor-Ort-Besichtigung eine etwas weitere Reise antreten: Der Fonds investiert in ein Portfolio aus Windenergieanlagen in Polen. „Bei allen Projekten sind mindestens zwölf Monate und länger dauernde Windmessungen direkt am Standort und in verschiedenen Höhen der Windenergieanlage die Basis", erklärt Geschäftsführer Alexander Brüning. Durch den Einsatz sonarbasierter Messgeräte werden u. a. Messungen direkt auf Nabenhöhe vorgenommen. Diese langfristig erhobenen Daten fließen in das standortspezifische Windgutachten ein. „All dies kann dazu beitragen, zusätzliche Sicherheit und Vertrauen in die Windprognosen aufzubauen", so Brüning.

Für Gegenwind sorgte aber nicht nur das Daldorf-Gutachten – auch seitens der Politik gab es in Sachen Windenergie deutliche Ansagen. So forderte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Stopp der Ökostrom-Förderung von Neuanlagen wegen „dramatischer Überförderung". Die Initiatoren reagieren gelassen: „In Wahlkampfzeiten werden regelmäßig Einzelaspekte in den Vordergrund gestellt, oftmals überspitzt. Es bleibt wie immer die Hoffnung, dass nach der Wahl differenzierter und in Kenntnis des komplexen Sachverhalts entschieden wird", so Thöne. Volkswirtschaftlich sinnvolle Förderungen von Zukunftstechnologien sollten seiner Meinung nach sukzessiv reduziert werden, um die Anreize zur Weiterentwicklung der Technologie hoch zu halten. „Sie sollte aber auch planbar sein, um die Anreize überhaupt zu erhalten", sagt er. Dass die Förderung neu errichteter Windkraftanlagen niedriger ausfallen wird, hält er bei maßvoller Anpassung für volkswirtschaftlich wichtig. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte zudem, den Ausbau stärker ans tatsächliche Windaufkommen koppeln zu wollen. Dies klingt laut Gärtner zunächst sinnvoll, berücksichtigt aber nicht, dass das größte Windaufkommen an der Küste weit vom großen Verbrauch entfernt ist und die dafür nötigen Leitungen finanziellen Zusatzaufwand sowie Energieverluste bedeuten. Es könne also in Grenzen durchaus sinnvoll sein, an schwächeren Standorten in Süddeutschland, d. h. näher am Verbrauch, Windenergieanlagen zu errichten.

Fazit

Vermittler sollten sich intensiv mit den im Fondsprospekt abgedruckten Windprognosen auseinandersetzen. Seriös konzipierte Prospekte enthalten gleich mehrere Windgutachten. Sie sollten kritisch prüfen, ob die prognostizierten Winderträge realistisch sind, z. B. anhand vorliegender Vergleichsdaten.

(Kim Brodtmann)

Windprojekte - Printausgabe 05/2013