Warum die deutsche Wirtschaft eine neue Wachstumsagenda braucht
09.08.2023
Robert Greil. Foto: Merck Finck
Die im internationalen Vergleich zurückfallende deutsche Wirtschaft beherrscht dieser Tage die Schlagzeilen. Tatsächlich ist Deutschland von der Wachstumslokomotive der Eurozone zum Schlusslicht geworden – und perspektivisch noch schlimmer: Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland oder erwägen es zumindest. Auf lange Sicht besonders schädlich ist es, wenn Zukunftsbranchen ihr Heil in der Ferne suchen und dort ihre Entwicklungszentren und Prototypen bauen, weil sie in Deutschland keine entsprechenden Rahmenbedingungen vorfinden. Während die Politik alle möglichen Maßnahmen diskutiert, steigt der Handlungsdruck – schließlich herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Deutschland unter den G7- und Eurozonenländern am stärksten rezessionsgefährdet ist.
Aus unserer Sicht lähmt derzeit vor allem die gestiegene Unsicherheit hinsichtlich der Energiepreise die Wirtschaft. Hinzu kommt, dass die deutsche Wirtschaft bereits unter einer im internationalen Vergleich übermäßig hohen Steuer- und Abgabenlast, der deutschen Bürokratie und anhaltendem Fachkräftemangel leidet. Für den Weg zurück in die Erfolgsspur halten wir ein zweigliedriges politisches Programm mit zwei unterschiedlichen Zeithorizonten für erforderlich:
Erstens, eine auf die unmittelbaren Schmerzpunkte der Wirtschaft zielende „Agenda 2024“, die insbesondere wieder für mehr international konkurrenzfähige Kalkulationssicherheit auf der Energie- und Strompreisseite sorgt. Damit würde nicht nur die inländische Investitionsbereitschaft unterstützt werden, sondern vielfältige positive Entwicklungen von einer schnelleren Inflationsabschwächung bis hin zur Unterstützung des Arbeitsmarktes und des Konsums begünstigt werden. Dass dies durch weitere Maßnahmen wie Steueranpassungen oder noch mehr zielgerichtete Subventionen bis hin zum Bürokratieabbau unterstützt werden könnte, versteht sich von selbst.
Zweitens ist aus unserer Sicht zusätzlich auch ein längerfristig angelegtes Transformationsprogramm, nennen wir es „Agenda 2030“, nötig. Schließlich verliert Deutschland bereits seit Jahren – auch schon vor Corona – im internationalen Vergleich an Dynamik, was sich bei Betrachtung der Konjunkturdaten insbesondere auf der Industrieseite zuletzt weiter beschleunigt hat. Dabei sollte unserer Meinung nach mit Blick auf die größten langfristigen Wachstumspotenziale strategisch definiert werden, welche Bereiche künftig ausgebaut und damit besonders gefördert werden sollen und welche nicht – sprich, es sollte ein klarer Rahmen für eine zielgerichtete Transformation Deutschlands definiert werden.
Schlüsselthemen, die unseres Erachtens eine solche längerfristig angelegte Agenda umfassen sollte, sind eine Digitalisierungsoffensive (nicht zuletzt in der Verwaltung), verbunden mit einem spürbaren Bürokratieabbau, eine Adressierung des anhaltenden Arbeits- und gerade Fachkräftemangels verbunden mit einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, sowie ein zielgerichteter finanzpolitisch attraktiver Rahmen, der eine umfassende Unternehmenssteuerreform als zentrales Element hat.
Marktkommentar von Robert Greil, CFA bei Merck Finck I A Quintet Private Bank.