Missverständnis „Master-Modelling"

30.06.2017

Jörg Weitz (li) und Ralf China (re) / Foto: © 3FACH ANDERS / Ralf China

Die Eltern sind schuld! Das ist eine häufig ins Feld geführte Erklärung dafür, wenn bei uns Erwachsenen nicht alles glattläuft. Probleme oder sogar Traumata in der Kindheit führten dazu, dass wir als Erwachsene Schwierigkeiten bekommen.

Umgekehrt heißt das natürlich auch, dass wir es als Eltern komplett in der Hand haben, was aus unseren Kindern wird. Schließlich ist es das von uns geschaffene und gestaltete Umfeld (Milieu), das den Nachwuchs prägt. Wenn wir alle unsere Kinder gleich behandeln, müssten sie sich auch gleich entwickeln.

Falls Sie bei diesen Sätzen ein gewisses Unbehagen empfinden: Nicht nur bei den meisten Eltern löst diese Sichtweise Kopfschütteln aus, auch wissenschaftlich ist sie durch mehrere Langzeitstudien widerlegt. Aus Kindern, die in lieblosen und prekären Verhältnissen aufgewachsen sind, können liebe- und verantwortungsvolle Erwachsene werden. Und Kinder, die behütet in einem liebevollen Elternhaus großgeworden sind, können als Erwachsene gewalttätig sein. Es gibt unseres Wissens keine einzige (!) Studie, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Erziehungsstil der Eltern und der späteren Persönlichkeit des Kindes belegen kann.

In den vergangenen 30 Jahren ist es Verhaltensgenetikern gelungen, den Anteil genetischer Einflüsse auf unsere Persönlichkeit zu quantifizieren. Wenngleich nicht jede Studie zum exakt gleichen Ergebnis kommt, so zeichnet sich doch eine klare Richtung ab: Rund 50 Prozent unserer persönlichen Eigenarten sind genetisch veranlagt. Die Konsequenz: „Bezogen auf einige Aspekte Ihrer Persönlichkeit haben Sie so viel Wahl wie bei Ihrer Schuhgröße, nämlich keine.“ Auch wenn kaum eine Disziplin so heftig bekämpft wurde wie die Verhaltensgenetik und seit gut 30 Jahren immer wieder versucht wird, diese Erkenntnisse zu widerlegen – sämtliche Studien deuten in die gleiche Richtung. Das heißt nicht, dass die Umwelt, in der wir aufwachsen, und unsere Erziehung unwichtig sind – die Ursache-Wirkungs-Ketten sehen jedoch vollkommen anders aus, als bisher von den Milieutheoretikern angenommen wurde.

Der Hauptgrund dafür liegt im Wechselspiel zwischen individuellen, genetisch veranlagten persönlichen Eigenarten und unserer Umwelt. Wenn, wie ursprünglich angenommen, unsere Umwelt allein unsere Persönlichkeit prägen würde, müssten Kinder, die in der gleichen Familie aufgewachsen sind, tendenziell die gleiche Persönlichkeit entwickeln; das ist aber nicht der Fall. So werden sich Adoptivgeschwister trotz gemeinsamer Erziehung im Laufe der Zeit nicht ähnlicher. Stattdessen bleibt ihre Persönlichkeit so verschieden wie zwischen zwei zufällig aus der Bevölkerung herausgepickten Menschen.

Es sind die genetische Veranlagung sowie unsere individuellen Erfahrungen, die im Zusammenspiel unsere Persönlichkeit bilden. Während sich Letztere nur schwer quantifizieren lassen, gibt uns die Betrachtung unseres genetisch veranlagten Temperaments einen sicheren Orientierungsrahmen für die persönliche Entwicklung. Natürlich lassen sich damit nicht alle Unterschiede zwischen Persönlichkeiten erklären, aber rund 50 Prozent sind ja auch nicht übel!

In der Kolumne von Jörg Weitz und Ralf China dreht sich alles um den dauerhaften Erfolg von Beratern und Vermittlern. Dabei bilden die kölnische Frohnatur Jörg Weitz, selbst jahrelang in der Finanzberatung aktiv und ein echter Menschenflüsterer, und der zugezogene Nordhesse Ralf China, der sich eher durch eine protestantische Arbeitsethik auszeichnet und mehrere Jahre als Unternehmensberater aktiv war, ein spannendes Gespann. Im Mittelpunkt stehen hier An- und Einsichten jenseits der gängigen Patentrezepte.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: „Sei du selbst, sonst geht’s dir dreckig! warum Erfolg nicht Patentrezepten, sondern nur individuell machbar ist“ von Ralf China und Juergen Schoemen.