Macht und Möglichkeit

13.04.2016

Dr. Martin Moryson

In letzter Zeit wird häufiger die These aufgestellt, die Zentralbanken seien am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt und könnten nichts mehr unternehmen, um ihre Ziele zu erreichen – sie hätten ihr Pülverchen verschossen. Aber stimmt das so?

(fw) Immer häufiger liest man in der Presse, aber auch in Analysen von Banken, dass die Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen sei. Die Zinsen sind faktisch bei null oder sogar inzwischen in weiten Teilen darunter, alle großen Zentralbanken haben quantitative Lockerungsmaßnahmen implementiert, die jedes Maß sprengen, das Beobachter vorher für möglich gehalten hätten, und weder zieht die Inflation an, noch kommt die Wirtschaft so richtig in Gang. Zunächst einmal muss man feststellen, dass die Möglichkeiten der Zentralbanken noch lange nicht erschöpft sind. Die japanische Notenbank zählt sicherlich ohnehin schon zu den expansivsten Zentralbanken der Welt. Gleichwohl ist es ihr Anfang des Jahres gelungen, die Beobachter mit der Einführung negativer Zinsen zu überraschen. Und Zentralbankchef Haruhiko Kuroda betonte Anfang Februar, dass damit noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sei: Zum einen könne man die Zinsen noch viel weiter senken, zum anderen gehörten immerhin zwei Drittel der japanischen Staatsanleihen noch nicht der Zentralbank. Anfang März senkt die EZB den Einlagenzins noch einmal, legt neue Langfristtender auf und erhöht ihr monatliches Ankaufvolumen. Schließlich gibt es noch eine ganz lebhafte Debatte über Helikopter-Geld, also das direkte Verteilen von Geld an die Bürger (oder den Staat) unter Umgehung der Banken. Am Ende der Möglichkeiten sind die Zentralbanken also sicherlich noch lange nicht angelangt – auch nicht die EZB, die durch den multinationalen Währungsraum und rechtliche Vorgaben in ein engeres Korsett geschnürt ist. Die Frage ist vielmehr, ob all dies noch nutzt oder ob die Zentralbanken am Ende ihrer Macht angekommen sind: Können sie letztlich den gewünschten Inflationsanstieg tatsächlich erzwingen? Und können sie der Wirtschaft nachhaltig zu Schwung verhelfen? Und welche Kosten sind damit verbunden? Was die erste Frage anlangt, wird man Milton Friedman, dem großen Geldtheoretiker, zustimmen, dass am Ende Inflation ein monetäres Phänomen ist: Wenn die Zentralbank unlimitiert Geld druckt, wird es früher oder später zu Inflation kommen. In den USA hat die Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) bereits ihren Zielwert erreicht und selbst in Japan ist die Kernrate in den letzten Jahren gestiegen – wenn auch sehr langsam. Bleibt zu klären, ob der Nutzen dieser superexpansiven Geldpolitik die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen rechtfertigt. Man mag den Einstieg in die ultraexpansive Geldpolitik noch mit den – damals – tatsächlich existierenden Deflationssorgen begründen und konnte den Maßnahmen tatsächlich beachtliche Effekte zuschreiben. Inzwischen verpufft die Wirkung immer neuer Maßnahmen jedoch nach kurzer Zeit an den Kapitalmärkten. Der einzige noch erkennbare Nutzen ist die Abwertung der jeweils eigenen Währung – eine Strategie, die nicht für alle aufgehen kann. Die Risiken nehmen jedoch zu: Die Nullzinspolitik bedroht die Geschäftsmodelle für Lebensversicherer und Banken und verunsichert die Marktteilnehmer. Hinzu kommt die Gefahr von Blasenbildung an den Asset-Märkten. Um der Wirtschaft Schwung zu verleihen, ist die Geldpolitik vor allem auf andere Akteure angewiesen: Die schwache weltwirtschaftliche Entwicklung ist sicherlich nicht auf eine zu restriktive Geldpolitik zurückzuführen. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer Politik, die die notwendigen Strukturreformen verzögert. Und: solange die hohen Schulden noch auf der Wirtschaft lasten, wird man sich mit einem schwachen Wachstum abfinden müssen. Die Erholung nach Finanzkrisen ist nun einmal langsam und schwach. Zudem sind die Zentralbanken mittlerweile Gefangene ihres eigenen Systems. Durch die starke Fixierung auf ein konkretes Inflationsziel, die 2 % sind nachgerade zu einem Industriestandard geworden, haben sie Freiheitsgrade eingebüßt und ihre Glaubwürdigkeit von der Erreichung ebendieses Zieles abhängig gemacht. Zugleich können sie, wie Mario Draghi immer wieder zu Recht betont, jetzt das Ziel nicht mehr ändern, ohne ihre Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Besonders problematisch dabei ist, dass die 2 % nicht mehr als langfristiges Zielbild verstanden werden, sondern schon innerhalb von ein, zwei Jahren erreicht werden sollen und so ein immer hektischeres Agieren erfordern. Daher sind die Zentralbanken gezwungen, weiterhin sehr expansiv zu bleiben, selbst wenn sie Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Maßnahmen hegen: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“, wusste schon Hegel. www.oppenheim.de