Keine Informationspflicht für Lebensversicherer zu Kürzungsmöglichkeiten
17.03.2016
Abgeordnete des Deutschen Bundestages fragten: „Welche gesetzlichen Pflichten haben Lebensversicherungen, ihre Kunden vor Vertragsschluss über die Möglichkeit der Kürzung von Ansprüchen zu informieren, und wie sieht die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) festgestellte Praxis der Lebensversicherungen aus?“.
(fw) Die Antwort der Bundesregierung vom 11.01.2016 (BT-Drucksache 18/7221) darauf lautet: „Eine ausdrückliche Pflicht für Lebensversicherer, ihre Kunden vor Vertragsschluss über die Möglichkeit der Kürzung von Ansprüchen zu informieren, besteht nicht.“.
Versicherer trifft keine ausdrückliche – aber eine sich ergebende gesetzliche Beratungspflicht
Es gibt auch keine irgendwo festgelegte ausdrückliche Pflicht, einen Bundeskanzler darüber zu informieren, dass man ihn mit faulen Tomaten bewerfen kann. Eine (nicht ausdrückliche, sondern sich ergebende) Pflicht zur Beratung folgt indes aus der gesetzlichen Regelung des § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Diese Pflicht trifft nicht nur den Versicherer selbst, also seine abhängig Beschäftigten, sondern auch seinen Vertrieb (Versicherungsvertreter, Agenturen, Versicherungsmakler).
Beratungspflicht bei Vermittlung sowie bei erkennbaren Irrtümern
Bis zum Abschluß der Versicherung, zeitlich vorgelagert, hat der Vertriebler dem Kunden eine Dokumentation vorzulegen, §§ 61, 62 VVG – anderenfalls haftet er auf Schadensersatz, § 63 VVG. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, daß bis mehr als 85% aller Beratungen gar nicht erst dokumentiert werden – dies kann bis hin zur Beweislastumkehr für den Kunden führen.
Später wird vom Vermittler oder Versicherer erkannt, dass der Kunde sich im Irrtum befindet, z.B. weil er sagt: „Ich gehe also davon aus, dass die garantierte Leistung unter allen Umständen erbracht wird.“ Oder weil er äußert: „Ich lege wert darauf, dass meine Beiträge zu 100 % abgesichert sind.“
Das sind sie nicht, wenn die gezahlten Geldscheine nur gegen Mottenfraß abgesichert werden.
Haftung von Versicherungsvertretern und Versicherern als Gesamtschuldner
Auch ist eine irreführende Beratung schädlich, z.B. wenn nicht nur gesagt wird "Das ist die garantierte Ablaufleistung", sondern dazu gefügt: "Das bedeutet, diese ist ihnen auf jeden Fall sicher."
Auch der bloße Hinweis, die Versicherung sei durch Protektor abgesichert, würde irreführend sein, weil damit eine 100 % Absicherung verstanden werden könnte. "Lieber Makler, du kannst ruhig von der Leiter springen, weil du durch ein Seil abgesichert bist. Das verhindert, dass du auf den Boden fällst, weil es deinen Fall vorher abbremst, indem es sich um deinen Hals festschnürt.
Aktuarvereinigung erstellt Vorgaben für Kürzungsmöglichkeiten
Die Deutsche Aktuarvereinigung hat bereits ein in der Abstimmung mit allen Versicherungsmathematikern ihres Vereins befindliches Hinweispapier erstellt, wie bei betroffenen Versicherern Rückkaufswerte befristet auf je ein Jahr gekürzt werden können, gem. § 169 Abs. 6 VVG. Im Anschluss einer solchen Kürzungsperiode gibt es aber nicht die ursprünglichen Rückkaufswerte, sondern es wird entschieden, ob und wie hoch die Kürzung verlängert wird. Damit soll im Falle einer Wertminderung bei den Kapitalanlagen gegengesteuert werden oder ein Run auf Lebensversicherungsrückkäufe verhindert werden, indem die Rückkaufswerte so gekürzt werden, dass die Kündigung mindestens ebenso unattraktiv wird wie die Fortsetzung der Lebensversicherung. Die Aktuarvereinigung weist ausdrücklich darauf hin, dass diese Kürzung auch dann zulässig ist, wenn die Schieflage durch den Versicherer verursacht wurde, z.B. durch eine Fehlkalkulation, und selbst wenn dies vorhersehbar war. Dafür muss weder die Versicherungsaufsicht noch ein unabhängiger Treuhänder gefragt werden.
Anfechtung, Widerruf und Rückabwicklung
Folge fehlerhafter Beratung und Belehrung kann sein, dass der Versicherungsnehmer (VN) den Vertrag z.B. wegen Täuschung anfechten kann, oder den Vermittler zunächst auf Feststellung verklagen, dass dieser für die persönlich gegebenen Garantien haftet, oder auch, dass er ihm die Beiträge (z.B. der Basisrente) zurückerstatten muss, Zug um Zug gegen Übertragung der erhaltenen Leistung.
Bundesgerichtshof (BGH): Lebensversicherungen erfordern anleger- und objektgerechte Beratung
Seit Jahren stellen Kunden mit privater Rentenversicherung fest, dass sie bis zu weniger als der Hälfte dessen bekommen, was Ihnen ursprünglich vorgerechnet oder als Aussicht „versprochen“ wurde.
Seit dem BGH-BOND-Urteil (Az. XI ZR 12/93) haben Kreditinstitute und Finanzberater die Verpflichtung bei der Vermittlung von Kapitalanlagen zur „anleger- und objektgerechten“ Beratung. Dies bedeutet einerseits die Kundenbedürfnisse zu untersuchen, und andererseits das Kapitalanlage-Produkt bzw. Investment-Objekt.
Der BGH hat bereits 2007 in seiner Entscheidung (Urteil vom 14.06.2007, Az. III ZR 269/06) nachgelegt, indem beispielsweise Versicherungsmakler zum Schadensersatz verpflichtet sind, wenn sie eine Renten- oder Lebensversicherung an einen Kunden vermitteln, die nicht „seinem Bedarf und seiner finanziellen Leistungsfähigkeit entsprach“. Seinerzeit wurde das BGH-BOND-Urteil damit auf die Vermittlung von Renten- und Lebensversicherungen ausgeweitet.
*von Dr. Johannes Fiala, RA (München), RB, VB, MBA Finanzdienstleistungen (Univ.), MM (Univ.), Geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.), Bankkaufmann (www.fiala.de)
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Dipl.-Math. Peter A. Schramm, Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).