Immobilienfinanzierung in und nach der Krise
17.12.2020
Michael Seeberg, Mitgründer und Geschäftsführer hypcloud GmbH / Foto: © hypcloud
Hinzu tritt schon seit einiger Zeit die Entkopplung von Marktwerten und Beleihungswerten. Die Beleihungswertrichtlinien stammen aus Zeiten mit einem deutlich höheren Marktzinsniveau und wurden auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld nicht angepasst. Dies führt dazu, dass Banken zu Loan-to-Values (LTV) bzw. Loan-to-Cost (LTC) von eher 65 bis 70 % statt 75 bis 90% vor der Krise finanzieren. Der Anteil einer Seniorfinanzierung an der erforderlichen Gesamtfinanzierung fällt damit deutlich geringer aus. Daraus resultiert eine Finanzierungslücke, die durch alternative Finanzierungsformen wie Mezzanine, Junior Loans oder Whole Loans gefüllt werden kann. Denn institutionelle Investoren haben sowohl Liquidität als auch Investitionsbedarf. Sie suchen Zugang zu geeigneten Projekten und müssen die Finanzierungsanfragen und Risiken effizient analysieren und managen. Mehr Finanzierungsgeber im Markt beleben den Wettbewerb, schaffen aber zunächst Intransparenz und unter Umständen Unsicherheit. Plattformen oder digitale Marktplätze können geeignete Intermediäre sein, um die erforderliche Transparenz im Markt herzustellen, die passenden Finanzierungspartner zueinander zu bringen und Transaktionen effizient, sicher und nutzerfreundlich abzuwickeln.
Ist die traditionelle Projektfinanzierung in dieser Situation noch zeitgemäß?
Die Finanzierung eines Projektes dauerte bisher von der Identifizierung und Ansprache möglicher Finanzierer über die Formulierung der Finanzierungsanfrage, die Bereitstellung und Prüfung der notwendigen Dokumente, die Kreditentscheidung und Konditionenverhandlung bis hin zur Auszahlung der Darlehenssumme etwa drei bis vier Monate. Dieser zeitraubende Prozess auf Basis des physischen Transports von Unterlagen kam durch das abrupte Herunterfahren des öffentlichen Lebens im Frühjahr zum Erliegen, auch konservative Marktteilnehmer mussten in Windeseile auf Home Office umstellen – digitale Lösungen wurden plötzlich vom luxuriösen Marketinginstrument zur Überlebensnotwendigkeit. Immobilien-Projektfinanzierung muss flexibler, digitaler und agiler werden, um den Herausforderungen adäquat begegnen zu können. Die dringend benötigte „Flucht in die Qualität“ betrifft nicht nur die Assets, sondern auch die Prozesse.
Zahlreiche FinTechs haben in den letzten Jahren Software und Online-Plattformen mit dem Ziel entwickelt, Abläufe ganz ohne direkten physischen Kontakt zu vereinfachen und beschleunigen. Bisher gehörte die Bank- und Immobilienbranche zu den Late Adoptern der Digitalisierung – die Corona-Pandemie könnte der entscheidende Auslöser für die längst fällige Aufholjagd sein. Geldgeber auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten gibt es mehr als genug – zeitgemäße Matching-Prozesse, innovative Projektsteuerung und etwas unternehmerischer Mut sind gefragt, um Kapitalangebot und -nachfrage zur Deckung zu bringen.
Gastbeitrag von Michael Seeberg, Mitgründer und Geschäftsführer hypcloud GmbH