Im Blindflug – Geschlossene Publikumsfonds hängen in Sachen Nachhaltigkeit hinterher
06.01.2023
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Wie lässt sich die Nachhaltigkeit von Kapitalanlagen messen? Die EU hat sich dafür die Offenlegungsverordnung ausgedacht. Sie gilt seit rund anderthalb Jahren auch für Beteiligungen an Immobilien, doch anders als bei den offenen Fonds erfüllt kaum ein geschlossener Fonds für private Kapitalanleger die Anforderungen. Doch das wird sich ändern.
Langfristig haben ausschließlich klimafreundliche Objekte eine Chance bei Investoren. Und nicht nur das: Mieter und Eigentümer verhalten sich im Idealfall vorbildlich zu ihren Mitarbeitern und auch sonst. ESG lautet die Abkürzung dafür, was auf Deutsch für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung steht. Mit der Einordnung als Investition nach Artikel 8 oder besser noch 9 der Offenlegungsverordnung bewertet die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin die Bemühungen der Anbieter. Hat sich der Nachweis bei den offenen Publikumsfonds durchgesetzt, präsentieren sich die geschlossenen AIF als Nachzügler.
Das Analysehaus Scope zeigt sich in seiner aktuellen Studie zu den geschlossenen Publikumsfonds überrascht: „ESG bleibt ein relevantes Investmentthema. Umso erstaunlicher ist es, dass von den im 1. Halbjahr 2022 lancierten Fonds nur zwei nach Artikel 8 der EU-Offenlegungsverordnung ausgestaltet wurden.“ Bei den Immobilienfonds erfüllt einzig Patrizia Grundinvest mit seinem Angebot „Heidelberg Bahnstadt“ die Anforderungen an Artikel 8-Produkte. Und Artikel 9? Fehlanzeige.
Vielleicht liegt es daran, dass es seit Einführung der EU-Offenlegungsverordnung im März 2021 als Schritt Richtung nachhaltige Geldanlagen noch keine verbindliche Definition gibt, was Artikel 8 oder 9 überhaupt bedeutet. Leicht schwammig gelten Fonds als nachhaltig im Sinne des Artikel 8, wenn sie ESG-Kriterien berücksichtigen. Wollen sie die strengeren Voraussetzungen nach Artikel 9 erfüllen, müssen sie ein konkretes Nachhaltigkeitsziel verfolgen. Vor allem die Banken schauen trotz aller offenen Fragen verstärkt auf das Thema, denn seit August 2022 müssen sie im Beratungsgespräch die ESG-Präferenzen ihrer Kunden abfragen und dokumentieren. Das schreibt die MiFID vor, ebenfalls eine Verordnung der EU. Angebote schlechter als Artikel 8 dürften dabei durchs Raster fallen.
„Die MiFID-Kriterien stellen neben der Offenlegungsverordnung eine weitere Hürde“, sagt Jochen Schenk, Vorstandsvorsitzender der Real I.S. AG und Vizepräsident des Zentralen Immobilienverbandes ZIA. Er bezieht sich damit auf Artikel 8 plus. Ein Beispiel: Ein Öltank im Keller ist unkritisch, eine Tankstelle auf dem Grundstück nicht. Was zunächst trivial klingt, kann aber zum realen Problem werden, etwa wenn sich auf dem Gelände eines Fach- oder Supermarktes eine Tankstelle befindet, was gar nicht so selten vorkommt. Und der strengere Artikel 9 scheint bei offenen Fonds in weiter Ferne. Grund ist das Portfolio, das bei offenen Fonds ständig in Bewegung ist. Schenk prognostiziert daher, dass die Taxonomie für einen Wettbewerb unter den offenen Fonds sorgt. Gemeint ist das nachhaltige Wirtschaften eines Fonds, was derzeit noch schwierig nachzuweisen ist. Geschlossene Fonds mit einem oder wenigen konkreten Objekten dagegen sind in diesem Punkt im Vorteil.
Den Vertrieb des ersten geschlossenen Artikel 9-Fonds für private Kapitalanleger hat vor wenigen Wochen Ökorenta gestartet – bei einem Angebot mit Investitionen in Windkraftwerke und andere Anlagen erneuerbarer Energien keine Überraschung. Verifort Capital arbeitet daran, der BaFin den ersten Publikumsfonds mit Immobilien nach Artikel 9 vorzulegen. Er wird in Pflegeheime, Ärztehäuser und Kitas investieren und will mit dieser Auswahl alle ESG-Kriterien erfüllen. Die erste Hürde hat das Unternehmen bereits überwunden. „Die BaFin hat recht zügig unsere Anlagebedingungen gestattet“, berichtet Vertriebs-Geschäftsführer Rauno Gierig: „Mit dem Artikel 9-Fonds wollen wir Banken als Vertriebspartner erreichen.“ Parallel dazu konzipiert Verifort Capital einen Artikel 8-Fonds mit denselben Investitionsobjekten, der für den freien Vertrieb gedacht ist. Bei den bankenunabhängigen Vermittlern gelten derzeit noch weniger strenge Regeln. „Der Artikel 8-Fonds verursacht weniger Kosten und Aufwand und ist daher bei der Rendite einen halben Prozentpunkt besser“, sagt Gierig.
Doch selbst die Anforderungen nach Artikel 8 sind nicht ohne. Das berichtet Oliver Weinrich, Head of Portfolio Management bei Habona Invest: „Wir arbeiten daran, unseren offenen Bestandsfonds ,Habona Nahversorgungsfonds Deutschland‘ auf Artikel 8 umzustellen.“ Er ist sich sicher, dass der Fonds viele Kriterien der Kategorien E und S erfüllt, also Klimaschutz und Soziales. „Wir ermöglichen mit unserem Fonds schließlich vielen Menschen auch abseits der Metropolen einen ressourcenschonenden, kurzen Weg zur Nahversorgung“, sagt Weinrich.
Die aktuelle Scope-Liste zu den offenen Publikumsfonds weist 25 von 28 Angeboten bereits als Artikel 8-Fonds aus. „Artikel 9 ist für Bestandsfonds eine gewaltige Herausforderung“, weiß Ludger Wibbeke, Geschäftsführer der Service-KVG HANSAINVEST. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft ist zuständig für die Kommunikation mit der BaFin. Sie verantwortet das Monitoring und überprüft im Risikocontrolling, ob die Anbieter die vereinbarten ESG-Kriterien einhalten. „Das bedeutet mehr Aufwand für eine KVG“, so Wibbeke. Und das quasi im Blindflug. „Wir versuchen daher, gemeinsam mit Asset-Managern und anderen Service-Kapitalverwaltungsgesellschaften einen Branchenstandard zu erreichen, an dem sich alle Beteiligten orientieren können.“
Gastbeitrag von Markus Gotzi, Chefredakteur „Der Fondsbrief“