Schroders: Die Multi-Manager-Perspektive

03.07.2016

Foto: © Schroders

Das Team beschäftigt sich mit Helikoptergeld, also der drastischen Erhöhung der Geldmenge und direkter Auszahlung an Verbraucher und Unternehmen: Genau dies könnte eine der nächsten Maßnahmen im geldpolitischen Arsenal der Zentralbanken darstellen. Die möglichen Folgen für die Märkte rücken ebenfalls in den Blickpunkt.

“Ich denke, Bernanke peitscht diesen Esel, der lediglich um 1 Prozent wachsen kann, nur deshalb an, weil er ihn für ein Rennpferd hält, das 3 Prozent Wachstum bringen sollte! Er wird also weiter auf den Esel eindreschen, bis er entweder tot umfällt oder zum Rennpferd wird”, sagte Jeremy Grantham, Investor und Unternehmer im März 2013. Als dieses Zitat vor drei Jahren fiel, glaubten die meisten Politiker, dass die US-Wirtschaft mit genügend geldpolitischen Anreizen wieder ein Trendwachstum wie vor der Krise erreichen könnte – doch dies ist nicht eingetreten.  Auch wenn sich die USA im Verhältnis zu anderen Industrieländern wie ein Vollblutpferd entwickelte, hat sie doch nach ihren eigenen Standards noch immer etwas von einem Esel. Unter dem Titel „Zu lange, zu schwach“ hat der Internationale Währungsfonds in seiner Konjunkturprognose 2016 zuletzt die weltweiten Wachstumsaussichten auf 3,2 Prozent gesenkt – zum vierten Mal in den vergangenen zwölf Monaten. Das ist gefährlich nahe an jenen 3 Prozent, die für den Währungsfonds als bereits als Rezession gelten.  Aus Sorge um eine längere Phase der Wachstumsflaute kombiniert mit schwacher Inflation (eine sogenannte säkulare Stagnation) und mit einer Tendenz der Risiken ins Negative rief die Organisation von Christine Lagarde die Zentralbanken auf, sich verstärkt um eine „energischere“ Lösung zu bemühen. Man muss allerdings nur an die bisher beispiellosen Experimente denken, die die Notenbanken in den vergangenen Jahren weltweit unternommen haben; oder an die billionenschweren Kaufprogramme für Anleihen – Papiere, die mittlerweile Negativzinsen aufweisen. Daran lässt sich insgesamt ablesen, wie „energisch“ die Politik bisher war. Dennoch sollte aus Sicht des Internationalen Währungsfonds noch viel mehr getan werden.  Die Frage ist nur, was …

Ein geldpolitisches Testlabor

Japan war lange das Paradebeispiel für eine Volkswirtschaft, die in Folge einer alternden Bevölkerung, einer schwach wachsenden Produktivität und eines enormen Schuldenbergs mit niedrigem Wachstum und schwacher Inflation zu kämpfen hatte. Ein wirtschaftliches Umfeld also, das für uns irgendwie vertraut klingt.  Entsprechend diente das Land in den vergangenen Jahren als nützliches Testlabor für die ungewöhnlichen Maßnahmen der westlichen Politiker. Japan war die erste entwickelte Volkswirtschaft, die Ende der 1990er-Jahre einen Zins von mehr oder minder null einführte; die erste, die sich 2001 auf eine quantitative Lockerung einließ und die Anfang des Jahres in Richtung negativer Zinsen gestolpert ist.  Japan hat in den vergangenen sieben Jahren vier Rezessionen erlebt, obwohl die Zentralbank „energisch“ 35 Prozent aller japanischen Staatsanleihen und 59 Prozent des Marktvolumens an börsengehandelten Fonds (ETF) angekauft hat. So wachsen heute die Spekulationen, dass Japan schon bald Vorreiter für die Einführung von „Helikoptergeld“ sein könnte …

Den Helikopter starten? Darum geht es

Das Konzept von Helikoptergeld wurde erstmals 1969 vom Ökonomen Milton Friedman vorgestellt. Ben Bernanke sprach auch schon 2002 davon, ehe er Notenbank-Chef der USA wurde. Vor Kurzem veröffentlichte er einen Blog zu dem Thema unter dem Titel „What Tools does the Fed have left? Part 3“. Vereinfacht ausgedrückt beschreibt der Begriff Helikoptergeld eine Allianz zwischen geld- und steuerpolitischen Behörden, um zur Ankurbelung des nominalen Wachstums direkt in eine Volkswirtschaft eingreifen zu können.  Während die quantitative Lockerung (Quantitative Easing, QE) ein indirekter Ansatz für Wachstumsimpulse ist (oder: Geld drucken, um Wertpapiere zu kaufen und dadurch den Marktzins, die Kreditspreads und den Risikoaufschlag für Aktien zu senken), heißt Helikoptergeld: Tatsächlich Geld  drucken, um es sprichwörtlich vom Himmel regnen zu lassen, ohne die bereits hohen Verschuldungsquoten der öffentlichen Haushalte noch stärker belasten zu müssen. Bernankes Blog beschreibt als Beispiel, wie 100 Mrd. US-Dollar gedruckt werden, um eine Instandsetzung der US-amerikanischen Infrastruktur sowie eine Steuersenkung für Verbraucher zu finanzieren. Obwohl dieses Mittel als letzter Ausweg für den Fall eines Abschwungs bei Zinsen von bereits nahezu null beschrieben wird, hätte die Fed nur wenige „energische“ Optionen zur Verfügung. Weiterhin gilt als herrschende Meinung, dass nach jetzigem Stand der Dinge ein solches Vorgehen in den USA politisch unmöglich wäre.  Falls sich diese Politik aber in Japan auch nur als entfernt erfolgreich herausstellen würde (zugegebenermaßen mit einem sehr deutlichen „falls“ ), so dürfte ein solches Programm als eine erstrebenswertere Lösung erscheinen als das Risiko einer richtigen Deflation. Anleger sollten unserer Ansicht nach offen bleiben.  Maßnahmen, die einst als rücksichtslos und als absolute Extreme der Wirtschaftstheorie abgestempelt wurden (quantitative Lockerung, Negativzins), gelten jetzt nicht nur als konventionell, sondern immer häufiger sogar als unzureichend! Langfristig gesehen ist klar, dass sich Japans Wirtschaft in einem gefährlichen Zustand befindet. Das ist nichts Neues. Es ist durchaus möglich, dass sich der längerfristige demografische Rückgang durch finanzielle Anreize rechtzeitig stoppen lässt. Das ist eine der potenziellen langfristigen Lösungen für ein langfristiges Problem. Auf kürzere Sicht hingegen, wobei die erneute Stärkung seiner Währung dem Land bei seiner Deflationsabwehr größere Kopfschmerzen bereitet, werden wir Helikoptergeld – sollte es denn jemals umgesetzt werden – zum ersten Mal in Japan erleben. Bernanke, der Internationale Währungsfonds und die Finanzwelt allgemein werden die Entwicklung dieses Experiments zweifellos genau beobachten.

Die Folgen für den Markt

Eine wichtige Kompetenz im Fondsmanagement ist die Fähigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, was der eigenen Ansicht nach passieren sollte und dem, was man für am wahrscheinlichsten hält.  Wir können alle eigene Ansichten darüber haben, ob etwas passieren sollte oder nicht. Doch letztlich zählt dies eigentlich nicht. Das Thema von schwachem Wachstum und schleppender Inflation ist schon seit einiger Zeit in die Marktpreise eingeflossen. Nach mehr als drei Jahrzehnten Desinflation und sinkenden Zinsen scheinen sich Deflation und Niedrigzins in das Denken der Anleger ebenso eingegraben zu haben wie die Inflationsängste in den 1980er-Jahren. Heute hört man vor allem Folgendes:

  1.  Die staatlichen Schuldenquoten sind zu hoch.
  2.  Dies untergräbt das nominale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes, das bereits zu schwach ist.
  3. Die weltweite Wirtschaft verharrt daher im Zustand extremer Anfälligkeit
  4. Da das geldpolitische Arsenal bereits voll im Einsatz ist, haben wir kein glaubwürdiges Sicherheitsnetz mehr.
  5. Daher sollten wir „sichere“ Vermögenswerte stark übergewichten, weil man fürchtet, in einen deflationären Abgrund zu stürzen.

Nach derzeitigem Stand sind die Punkte 1–3 unserer Ansicht nach unstrittig.  Punkt 4 aber ist, wie oben dargelegt, nicht nur diskutierbar. Er hat vielmehr das Potenzial, die Positionierung der Anleger grundlegend zu verändern. Wie bereits in früheren Quartalsberichten dargelegt, hatten wir in den vergangenen Jahren einen extrem zweigeteilten Markt: Die Profiteure von schwachem Wachstum und niedriger Inflation – Anlagen, die selbst bei Bewertungen in Rekordhöhen als „sicher“ erachtet werden – haben die Profiteure von höherem Wachstum und höherer Inflation in die Tasche gesteckt: Nämlich Anlagen, die selbst nach drei bis vier Jahren Flaute noch als „riskant“ gelten. Sollten die Japaner so vorgehen wie oben beschrieben, könnte sich die Marktsicht gegenüber Inflationsprofiteuren weltweit um 180 Grad drehen. Beim Blick auf die diesjährige Wertentwicklung im Rohstoffbereich (eine klassische Inflationsabsicherung) könnte man argumentieren, dass dieser Prozess bereits im Gange ist.

Schroders Multi-Manager Team

www.schroders.com