Es geht um Selbstbestimmung

19.06.2023

Hermann Schrögenauer, LV 1871-Vorstand

finanzwelt: Thema Provision: Bei der Frage der Vergütung streiten sich die Gelehrten. Die einen wollen die Provision deckeln, die anderen sogar verbieten. Ich halte letzteres für sehr gefährlich, da vermutlich Geringverdiener dann nicht mehr beraten und versichert werden. Wie sehen Sie das?
Schrögenauer» Da stimme ich zu. Ein Verbot von Provisionen führt in meinen Augen nur zu einer Verschärfung der Rentenlücke beim Kunden und stellt den Sozialstaat im Endeffekt vor noch größere Herausforderungen. Deshalb ist es gut, dass die EU-Kommission vorerst davon Abstand nimmt. Letztendlich sollte aber doch die Qualität der Beratung im Vordergrund stehen und nicht die Höhe der Provisionen. Eine gute Beratung reicht schließlich jahrzehntelang in die Zukunft. Deshalb ist es wichtig, dass sie durch unabhängige Makler erfolgt, die als einzige wirklich auf der Seite des Kunden stehen. Das hat eine Wertigkeit und braucht eine angemessene Vergütung – ganz unabhängig davon, wie man sie nennt.

finanzwelt: Welche anderen Möglichkeiten sehen Sie? Gibt es alternative Provisionsmodelle wie zum Beispiel weniger AP, mehr BP? Und welche Vorteile haben diese Modelle für den Vermittler/Makler?
Schrögenauer» Honorar und Provision sind für uns keine Gegensätze – vielmehr geht es um den individuellen Beratungsbedarf je nach Kundenbedürfnis. Deshalb bieten wir schon heute bewusst beide Welten an und geben Beratern und Kunden die Möglichkeit, aus insgesamt sechs Provisionsmodellen zu wählen. Eine davon ist das genannte ‚weniger AP, mehr BP‘-Modell, bei dem Geschäftspartner eine niedrigere Abschlussprovision (AP), aber stattdessen eine höhere Bestandsprovision (BP) über einen längeren Zeitraum erhalten. Der Vorteil hier: eine stärkere Bindung zwischen Kunde und Berater sowie ein langfristiger, regelmäßiger Einkommensfluss. Dadurch können sich Berater auch verstärkt auf die Betreuung bestehender Kunden konzentrieren und müssen nicht ständig nach neuen suchen. Ähnlich verhält es sich beim honorarbasierten Modell, bei dem Berater direkt vom Kunden bezahlt werden und somit unabhängig von Produktprovisionen sind. Das kann auch dazu beitragen, das Vertrauen von Kunden in die Beratungsqualität zu stärken, da der Berater direkt vom Kunden bezahlt wird und somit keinerlei Anreize hat, bestimmte Produkte aufgrund höherer Provisionen zu empfehlen. Wir plädieren hier aber nicht für einen Standard, sondern dafür, dass sich Versicherungsvermittler gemeinsam mit dem Kunden das Provisionsmodell auswählen, das ihren individuellen Bedürfnissen und Zielen am ehesten entspricht. Auch Mischformen wie reduzierte AP und höhere BP oder auch das NAV-Modell sprechen viele Kunden und Geschäftspartner an – insbesondere im Einmalbeitragsbereich.

finanzwelt: Irgendwie erinnert mich die politische Diskussion darum an die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Es ist politisch gewollt, aber wird kaum gestaltet oder gar unterstützt. Apropos: Wie handhaben Sie das im Hause und was empfehlen Sie Ihren Geschäftspartnern?
Schrögenauer» Wir tun unser Bestes, um unsere Geschäftspartner bei der Umsetzung der neuen Regelung zu unterstützen. Deshalb haben wir unseren Fondsfinder weiterentwickelt, mit dem Makler die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden flexibel und transparent abbilden können. Angesichts der regulatorischen Änderungen zum Thema Nachhaltigkeit haben wir alle unsere Fonds hinsichtlich der gesetzlich geforderten Datengrundlage und Unterlagen überprüft und die Fondsauswahl entsprechend angepasst. Wir empfehlen, geeignete Tools mit den nötigen Informationen bereits in der Beratung einzusetzen. Genau dafür eignet sich unser Fondsfinder, mit dem Makler das Fondsuniversum interaktiv anhand Performance-, Stamm- oder ESG-Daten, Nachhaltigkeitspräferenzen und anderen Ausschlusskriterien filtern können, um das richtige Investmentprodukt für ihre Kunden zu finden.

finanzwelt: Da sind wir schon bei einem meiner Lieblingsthemen: ESG. Leider kommen die PS irgendwie nicht auf die Straße. Oder wie erklären Sie sich, dass fast 50 % der Menschen in Deutschland nachhaltig investieren wollen, aber nur 5 % es wirklich sind
Schrögenauer»
Klimawandel und Kriege zeigen, wie wichtig ethische, ökologische und soziale Aspekte auch bei der Geldanlage sind. Dass die meisten Menschen in Deutschland das Thema noch nicht im Blick zu haben scheinen, obwohl nachhaltiges Handeln an sich dem Großteil ja sehr wichtig ist, kann verschiedene Gründe haben. Über Geldanlage wird öffentlich ja sowieso noch viel zu selten gesprochen, gerade auch im Kontext von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Dann könnte ich mir vorstellen, dass vielen Anlegern noch immer das Verständnis für die teils unklaren ESG-Kriterien fehlt. In den letzten Monaten wurde hier wieder viel zurückgestuft, weil es die Anforderungen nicht erfüllte und die Gesetzgebung geschärft werden musste. Nachhaltige Investments sind zudem noch oft mit dem Vorurteil verbunden, dass sie weniger rentabel wären als konventionelle Anlagen. Dabei war zuletzt häufig das Gegenteil der Fall. Im Kundengespräch können Vermittler hier ansetzen und gemeinsam mit Kundinnen und Kunden ein neues Bewusstsein für nachhaltiges Investment schaffen. Denn mit modernen Finanzprodukten können sie auch in Zeiten von Niedrigzins und Inflation ihr Einkommen im Alter sichern und gleichzeitig in eine nachhaltige Zukunft investieren. Das ist doch genau das, worauf es bei der finanziellen Freiheit ankommt.

finanzwelt: Herr Schrögenauer, vielen Dank für diese tiefen Einsichten in die LV 1871. (lvs)