Erdgeschoss darf nicht sterben
07.10.2020
Foto: Yuval Helfman - stock.adobe.com
Das Erdgeschoss ist im Normalfall die Eingangstür in ein Gebäude – auch im übertragenen Sinne. Jedoch werden diese Etagen immer unwirtschaftlicher. Die aktuelle Erdgeschossstudie von bulwiengesa gibt Handlungsoptionen für private Projektentwickler und Verwaltung.
Seit etwa 2010 führen mehrere Faktoren zu einem „Erdgeschossproblem“: So fallen sowohl in kleineren als auch in größeren Städten zunehmend Erdgeschosse auf, die nicht mehr vermietet werden können und entweder durch blinde Flecken eine Beeinträchtigung darstellen oder durch einfache Nutzung wie Spielhallen, Wettbüros oder Kioske den Gesamteindrucks eines Quartiers stören. Zugleich entstehen bei der immobilienwirtschaftlichen Kalkulation Schieflagen. Die Ursachen für diese Entwicklung sind der Rückgang der inhabergeführten Läden, zunehmender Onlinehandel, baurechtliche Auflagen, teils ohne Augenmaß für den Immobilienmarkt, sowie eine alternde Gesellschaft mit spezifischen Bedürfnisse oder der Optimierungszwang wegen schnell steigender Bau- und Grundstückskosten. Die aktuelle Situation verschlimmert diese Lage zusätzlich. „Bereits vor der Corona- Krise haben Entwicklungen wie Verschiebungen im stationären Einzelhandel, die stärkere Bedeutung von Gastronomie oder enorm steigende Grundstücks- und Baukosten dazu geführt, dass sich Erdgeschosslagen verändert haben. Prognosen zufolge steht mindestens jedes zehnte Einzelhandelsgeschäft innerhalb der nächsten zehn Jahre vor dem Aus. Gemeinsame Maßnahmen von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung, um diese Lagen zu gestalten, sind unabdingbar“, so Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter von bulwiengesa und Initiator der Erdgeschossstudie, die gemeinsam mit Fachleuten aus den drei Projektentwicklungsunternehmen ehret + klein, Hamburg Team und Interboden sowie der Bundesstiftung Baukultur erstellt wurde. Das gemeinsame Ziel der Untersuchung war es, Handlungsansätze für Quartiersentwickler, Stadtplaner und Investoren zu schaffen und eine Symbiose von Immobilienwirtschaft und Stadtplanung zu erreichen.
Quersubventionierung als Lösungsansatz
Laut den Autoren der Erdgeschossstudie beharren viele öffentliche Planungsämter häufig auf zu starren Vorgaben bezüglich der konkreten Erdgeschossnutzung, die sich mit den am Markt realisierbaren Möglichkeiten und den Gegebenheiten vor Ort oft nur schwer vereinbaren lassen. Dadurch würden die Projektentwickler vor größere Probleme bei der Umsetzung gestellt, bspw. wenn es um die Suche nach Mietern für die Objekte geht. Zugleich steige die Gefahr, dass sowohl zu Beginn als auch im weiteren Verlauf der Nutzungsphase das Erdgeschoss leer stehe. „Die Ausgangslage einer Projektkalkulation entspricht nur selten den tatsächlichen Gegebenheiten bei Fertigstellung. Viele Entwicklungen sind kaum zu prognostizieren. So steigen die Bau- und Grundstückskosten stärker als die Mieten im stationären Einzelhandel“, erläutert Andreas Schulten. Alleine in den sieben A-Städten sind die Baukosten zwischen 2009 und 2019 um ca. 20 % gestiegen. Jedoch ist mit den Immobilien während der Nutzung immer weniger Geld zu machen. So haben die Ladenmieten zwischen 2009 und 2018 nur um 12 % zugelegt – und das in der Regel nur in gut frequentierten Lagen in den jeweiligen Stadtteilzentren oder an Hauptverkehrsachsen. Jedoch sind solche guten Lagequalitäten nicht in jeder Quartiersentwicklung gegeben. Laut den Studienautoren zeige schon allein diese Entwicklung den stärker werdenden finanziellen Druck auf die Erdgeschosslagen. Der durch die Grundstückkosten als zweiter großer Preistreiber weiter verstärkt würde. So mussten in guten Lagen für Grundstücke 115 % mehr bezahlt werden als 2015. Selbst das Ausweichen auf die mittleren und die einfachen Lagen bringt nur eine geringe Ersparnis für die Projektentwickler: Hier sind die Grundstückskosten in diesem Zeit um 70 % bzw. 56 % gestiegen.
Welche Probleme die Quersubventionierung mit sich bringt und wo ein Lösungsansatz hierfür besteht, lesen Sie auf Seite 2