Die Windenergie ist besser als ihr Ruf
07.10.2014
Wilhelm Heyne
**Mit großer Leidenschaft setzt sich *Wilhelm Heyne* unter anderem als Landesvorstand des Bundesverband WindEnergie für Rheinland Pfalz und das Saarland für den Ausbau dieser sauberen Technologie ein. Als Praktiker weiß er, dass Finanzierung und Realisierung oftmals ein Bindeglied brauchen. Seit kurzem berät er auch die reskap Unternehmensgruppe.**
finanzwelt: Mal eine spitze Frage zuerst: Wie beurteilen Sie das Ausbleiben von Frau Merkel auf dem Energiegipfel?
Heyne: Das war das völlig falsche Signal. Man bekommt den Eindruck die Bundesregierung wäre der Meinung, man könne die Klimaprobleme der Welt dadurch lösen, dass Deutschlands Stromerzeugung immer sauberer wird. Nur ist das frommes Wunschdenken. Selbst wenn wir in Deutschland vorbildlich wären, braucht es den Einsatz aller industrialisierten Länder, um die Probleme in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu lösen. Schon bei verringertem Wachstum der Wirtschaft wird Klimaschutz zur Nebensache.
finanzwelt: Global betrachtet - was müsste sich verändern?
Heyne: Ein Großteil der Weltbevölkerung hat immer noch keinen Zugang zu elektrischer Energie, in Äthiopien beispielsweise ist das Statussymbol der Bürger der Dieselgenerator im Vorgarten und nicht das schicke Auto in der Einfahrt. Wir brauchen nicht zu diskutieren, dass die Verfügbarkeit von elektrischer Energie immer gleichzusetzen ist mit Lebensqualität. Wenn wir diesen Nachholbedarf mit konventionellen Energieträgern aufholen wollen, werden wir sprichwörtlich erst ersticken und kurze Zeit später erfrieren, weil die Quellen verbraucht sind. Wir haben weltweit nur eine Chance – und das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.
finanzwelt: Nun wird gerade in der Bundesrepublik darüber diskutiert, dass uns die Erneuerbaren zu teuer kommen. Was meinen Sie dazu?
Heyne: Die Diskussion kenne ich und sie ist schlicht Unsinn. Wenn ich ganze Kostenblöcke, die in der Betrachtung der einen Erzeugungsform stecken, in der anderen herausnehme, muss der Vergleich einfach schief aussehen. Da werden doch Äpfel mit ausgehöhlten Kürbissen verglichen.
finanzwelt: Wie meinen Sie das?
Heyne: Lassen Sie mich das an einem Beispiel festmachen: Wenn Sie einen Windpark bauen wollen, müssen Sie die Rückbaukosten einplanen und diese entweder als Bankbürgschaft oder in bar bei der Genehmigungsbehörde hinterlegen. Das ist eine Pflicht, der die Windbranche ohne Gerede nachkommt, auch wenn die Behördenforderungen häufig ein wenig übertrieben sind. Bei Kohle- und Nuklearkraftwerken gibt es diesen kalkulatorischen Posten auch, das Geld bleibt aber im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien als Rücklage beim Betreiber, er kann damit arbeiten und tut das auch. Manchmal auch mit negativen Ergebnissen. Ich erinnere an den Kauf von Thames Water durch einen großen deutschen Energieversorger, der außer hohen Kosten nichts einbrachte, was auch wiederum zum Verkauf führte. Die vor kurzem laufende Diskussion über den „Atomfonds" war nichts weiter, als der Versuch der Atomkraftwerksbetreiber, den Rückbau der Kraftwerke mit möglichst geringen Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen, weil sie genau wissen, dass auch nur der Abriss ohne Entsorgung mit den vorhandenen Rücklagen nicht möglich war und sein wird.
finanzwelt: Was heißt das denn in der Folge?
Heyne: Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Wie hoch schätzen Sie die Rückbaukosten eines Kernkraftwerkes ein und dabei spreche ich nicht von den Kosten der Endlagerung? Das findet sich in keiner der Energiekostenaufstellungen wieder, obwohl man inzwischen einige Erfahrung damit hat - siehe Greifswald. Im Zweifel werden die Kosten einfach sozialisiert oder umgelegt. Da muss mit einem Mal der Steuerzahler mit hohen zwei- oder dreistelligen Milliardenwerten einspringen. Will der Steuerzahler nicht, gehen die Betreiber noch lange nicht pleite, sie sind ja „systemrelevant". Auf der Basis lassen sich leicht die Kosten nach unten manipulieren. Ein weiteres schönes Beispiel hierfür war doch das Angebot der großen Kohlekraftwerksbetreiber, der Staat möge doch die alten Meiler übernehmen – er bekäme sie auch geschenkt. Der neueste Wurf sind die propagierten Kapazitätsmärkte, hier soll die Allgemeinheit den Energieriesen die stranded Investments vergolden.
finanzwelt: Für Sie ist Windenergie wettbewerbsfähig?
Heyne: Wohl mehr eine rhetorische Frage, oder? Windenergie ist – egal wie man es in der Vollkostenbetrachtung rechnet - immer die kostengünstigste Form der Energieerzeugung. Windmühlen brauchen nun mal keinen Brennstoff, die Mitarbeiter der klassischen Kraftwerksbetreiber reden da von „Grenzkosten gleich null". Was meinen Sie wohl, warum in Deutschland in den Jahren 2013 und 2014 mehr Windparks realisiert wurden als je zuvor. Und das trotz der gewaltigen, politisch gewollten Verunsicherung und einer üblen Neiddiskussion, die jeder Grundlage entbehrt.
finanzwelt: Auf die Gefahr hin, dass Sie es erneut als rhetorische Frage einstufen … Glauben Sie, dass der polnische Ministerpräsident Donald Tusk recht hat, wenn er fordert, die europäische Energieunabhängigkeit müsse zwar her, aber nicht zu Lasten des Klimawandels?
Heyne: Das ist eine hervorragende Frage, mit der Sie direkt an ihre erste anschließen. Tusk fordert eine europäische Unabhängigkeit, auch zur Besserstellung gegenüber den Krisenstaaten im Nahen Osten und vor allem zu Lasten der Beziehungen zu Russland. Der EU-Kommissar Günther Oettinger war da viel zurückhaltender und kritisierte diesen Vorschlag, was aber mehr der Bequemlichkeit als der Einsicht zuzuordnen war. Tusk fordert zudem einen Ausbau heimischer, umweltfreundlicher Energien, wozu er allerdings auch die Gewinnung von Erdgas durch Fracking zählt. Ein unterschiedlich diskutiertes Thema. Man sieht also, er will eine europäische, vielleicht sogar internationale Lösung. Deutschland schaut mehr auf den heimischen Markt.
finanzwelt: Lassen Sie uns ruhig einmal auf den Nachbarstaat Polen schauen, zumal Sie hier ja gerade beratend tätig geworden sind. Wie stufen Sie Polen ein?
Heyne: Das wiederum ist eine schwierige Frage. Ich kenne das Thema Windplanung in Polen seit vielen Jahren auch aus eigener Anschauung und maße mir an, eine Einschätzung abgeben zu können. Polen strebt nach vorne, mit seit Jahren überzeugenden Zahlen im Zubau. Polen hat aber auch eine jahrhundertealte Geschichte des Veto-Partikularismus und nach dem letzten Krieg viele Jahrzehnte nahezu keine Investitionen in das Stromnetz. Das ist für eine dezentrale Stromerzeugung wie Windenergie sehr hinderlich. Die Genehmigungs- und Investitionsvoraussetzungen sind sehr ähnlich wie in Deutschland, die rechtliche Sicherheit ist sehr hoch. Und Polen setzt stark auf Windenergie als bekanntermaßen effizienteste Gewinnungsart. Man muss die Zugangswege zum Netz und der Bevölkerung finden, hilfreich ist, dass die Polen den Deutschen sehr viel ähnlicher sind als man üblicherweise annimmt.
finanzwelt: Was bedeutet dies denn konkret für die Entwicklung der Windenergie in Polen?
Heyne: Es gibt in Polen generell sehr gute Investitionsmöglichkeiten, denn man hat den Nachholbedarf erkannt. Es ist dabei wirklich nicht viel anders als in Deutschland: man muss alle an einem Projekt Beteiligte und die Nachbarn dafür gewinnen. Das reicht von den Landwirten, die gerne Teile ihres Landes verpachten, über den Gemeinderat und den Bürgermeister bis zur Woiewodschaft (Anmerkung d. R.: Regierungspräsidium), den Energieversorgungsunternehmen usw.. Nahezu jede der polnischen Gemeinden freut sich über die zusätzlichen Einnahmen aus Grund- und Investitionssteuer und ist Projekten gegenüber aufgeschlossen. Leider hapert's manchmal am schwachen Netz, das aber über die letzten 12 Jahre erheblich besser geworden ist und zügig weiter ausgebaut wird. Polen ist im Vergleich zu Deutschland ein etwa halb so stark besiedelter Flächenstaat mit stark landwirtschaftlich geprägter und schon historisch dezentraler Struktur. Dort ist einfach viel Platz für Natur, Landschaft und durchaus auch für Windkraft.
finanzwelt: und wie sehen Sie den Markt für erneuerbaren Strom in Polen?
Heyne: Der Markt für erneuerbaren Strom geht teilweise über die Strombörse in Warschau. Die Vergütung besteht einmal aus dem Vorjahresdurchschnitt des nicht sehr volatilen Kohlestrompreises als Grundvergütung und zum zweiten aus den „grünen Zertifikaten", die unterjährig schwach und am Jahresanfang mit gewaltigen Aufschlägen gehandelt werden. Typischerweise hortet man die Zertifikate und verkauft sie dann zu dem Zeitpunkt, wenn die Kraftwerksbetreiber und ähnliche Unternehmen Zertifikate benötigen und deshalb kaufen müssen. Hat man sich mit diesen Mechanismen arrangiert, sind die Erträge aus der Stromproduktion durchaus sehr ansehnlich.