„Die letzte Klarheit fehlt!“

08.08.2013

**„finanzwelt" sprach mit Rechtsanwalt *Dr. Ferdinand Unzicker* über das Auslegungsschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zum Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB).**

Im Juni hat die BaFin das Auslegungsschreiben zum KAGB veröffentlicht. Seitdem wird das Schreiben heftig diskutiert, denn nach Einschätzung von Branchenkennern nimmt es deutlich mehr Fonds von der Regulierung aus als erwartet. Die Diskussion betrifft in erster Linie den Begriff „Investmentvermögen". Als Tatbestandsmerkmal setzt § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB unter anderem voraus, dass es sich nicht um ein „operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors" handeln darf. Andernfalls kommt das Gesetz nicht zur Anwendung.

Exemplarisch nennt die BaFin folgende Beispiele:

„Fraglich ist, ob ein Unternehmen, das ein Schiff verchartert, d.h. zur Nutzung überlässt, operativ tätig ist. Bei einem Time-Charter – einem der gängigen Schiffschartermodelle – überlässt der Vercharterer dem Charterer ein voll ausgerüstetes, bemanntes und einsatzfähiges Schiff zur vertraglich vorgesehenen kommerziellen Nutzung auf Zeit. Die technisch-nautische Betriebsführungspflicht liegt grundsätzlich beim Vercharterer, der in nautischen Angelegenheiten gegenüber dem Kapitän weisungsbefugt ist, die Pflege und Instandhaltung des Schiffes zu überwachen und für die Seetüchtigkeit des Schiffes und einen funktionierenden Schiffsbetrieb zu sorgen hat. Da bei einem Time-Charter-Vertrag die technisch-nautische Betriebsführung beim Vercharterer liegt, ist dieser als operativ tätig anzusehen".

„Bürgerenergieprojekte oder sonstige Unternehmen, die Anlagen (z.B. Biogas-, Solar- oder Windkraftanlagen) im Rahmen eines laufenden Geschäftsbetriebs selbst betreiben, sind als operativ tätige Unternehmen anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn sich diese Bürgerenergieprojekte oder Unternehmen im Rahmen ihrer operativen Tätigkeiten fremder Dienstleister oder gruppeninterner Gesellschaften bedienen, solange die unternehmerischen Entscheidungen im laufenden Geschäftsbetrieb bei dem Unternehmen selbst verbleiben".

Dies klingt nach praktikablen Möglichkeiten, das KAGB zu umgehen und außerhalb des Gesetzes Schiffs-, Solar- und Windfonds aufzulegen. „finanzwelt" bat den Münchener Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Unzicker um seine Einschätzung.

finanzwelt: Wie bewerten Sie die Auslegung der BaFin?

Unzicker: Erfreulich ist, dass die BaFin bemüht ist, bereits kurze Zeit nach Verabschiedung des KAGB möglichst viele Fragen auf Verwaltungsebene zu klären. Zu begrüßen ist auch, dass dabei in Bezug auf einige Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 KAGB nachvollziehbare und konsensfähige Festlegungen enthalten sind. Allerdings lässt das Auslegungsschreiben vor allem in Bezug auf den Begriff der „operativen Geschäftstätigkeit" letzte Klarheit vermissen. Auch die Abgrenzungen im Bereich Schiffsfonds gelingen nicht überzeugend. Nach Sinn und Zweck des KAGB läge es eigentlich nahe, dass auch Gestaltungen, denen ein „Time-Charter"-Vertrag zugrunde liegt, als „Investmentvermögen" eingestuft werden. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Keineswegs ausgeschlossen ist, dass sich die Verwaltungspraxis, beeinflusst durch Rechtsprechung und Literatur, noch weiterentwickelt. Angesichts der Komplexität der Fragestellungen konnte allerdings nicht erwartet werden, dass sämtliche Zweifelsfragen schon jetzt geklärt werden.

finanzwelt: Stellt das Auslegungsschreiben eine Möglichkeit dar, das KAGB zu umgehen und außerhalb des Gesetzes weiter unregulierte Schiffs-, Solar- und Windfonds aufzulegen?

Unzicker: Das Auslegungsschreiben bietet Ansatzpunkte, eine Emission so auszugestalten, dass der Anwendungsbereich des KAGB vermieden wird, etwa wenn darauf Wert gelegt wird, dass eine „operative Geschäftstätigkeit" ausgeübt wird. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob, von Einzelfällen abgesehen, die Frage der Umgehung des KAGB tatsächlich im Mittelpunkt stehen wird. Ebenso kann die Entwicklung dahin gehen, dass der Markt auf Umgehungsstrategien gar keinen Wert legt. Dies gilt umso mehr, als dass die Regelung des § 2 Abs. 5 KAGB Fondsanbietern, die sich einschließlich Fremdkapital unter dem Schwellenwert von 100 Millionen Euro bewegen, eine praktikable Möglichkeit bietet, mit überschaubarem Aufwand ein reguliertes Produkt aufzulegen.

finanzwelt: Ließe sich die Umgehung des KAGB auf weitere Asset-Klassen ausweiten?

Unzicker: Im Grundsatz ist denkbar, dass auch Fondsmodelle, die nicht in Schiffe oder Immobilien investieren, gezielt aus dem Anwendungsbereich des KAGB „herauskonzipiert" werden können. Dies gilt etwa für Private-Equity-Fonds, wenn das Merkmal der „festgelegten Anlagestrategie" vermieden werden und das Investmentvermögen nur einer „allgemeinen Unternehmensstrategie" unterliegen soll, was für die Anwendbarkeit des KAGB nicht ausreichen soll. Die Möglichkeit, dem Anleger etwa in Form von Genussrechten eine feste Verzinsung zuzusprechen, wobei dies zur Vermeidung eines Einlagengeschäfts stets mit einer Nachrangklausel verbunden sein müsste, besteht ebenfalls im Grundsatz bei sämtlichen Asset-Klassen. Und schließlich ist denkbar, dass der eine oder andere Anbieter verstärkt über eine Wertpapier-Emission nachdenkt, die dem Wertpapiergesetz (WpPG) unterfallen würde.

Das Interview führte Kim Brodtmann