Behält „Wachstumsmotor“ Südeuropa den Platz an der Sonne?

03.06.2024

Christian. Foto: Zürcher Kantonalbank Österreich AG

Die Wirtschaft der Eurozone kommt nicht so recht in Schwung. Immerhin ist ihr der Abrutsch in eine Rezession erspart geblieben und der Blick in die Zukunft verspricht Besserung. Dass es nicht schlimmer kam, ist den beiden Peripherieländern Italien und Spanien, in der Wirtschafts- und Währungskrise der 2010er Jahre noch große Sorgenkinder, zu verdanken. Deutschland, als größte Volkswirtschaft des Euro-Raumes, leidet hingegen unter der geldpolitischen Straffung. Christian Nemeth, Vorsitzender des Vorstandes und Chief Investment Officer der auch in Süddeutschland tätigen Zürcher Kantonalbank Österreich AG, analysiert in seinem Marktkommentar, ob die Aussichten für die südeuropäischen Länder weiterhin so sonnig und jene für Deutschland so trüb wie in den letzten beiden Jahren bleiben.

Nach einem zähen Kampf gegen die Inflation ist in der Eurozone endlich wieder ein Silberstreif am Horizont zu sehen. In puncto Geldpolitik zeichnet sich eine Normalisierung ab, auch wenn sich die US-Notenbank Fed und die EZB im Gegensatz zur Schweizer Nationalbank SNB noch mit einem Zinsschritt zieren. Trotz der positiven Aussicht erweist sich die Wachstumsdynamik in der Eurozone als äußerst schwach. Deutschland steht stellvertretend für diese Entwicklung und der Name „der kranke Mann Europas“ ist wieder populär geworden. Tatsächlich ist Deutschland ein Negativbeispiel in einem Europa der unterschiedlichen Wirtschaftsphasen: Denn Griechenland, Italien, Portugal und Spanien befinden sich im Gegensatz zu Deutschland im Aufschwung. Auf den ersten Blick scheinen diese sogenannten „Peripherieländer“ resilienter gegen Zinserhöhungen zu sein.

Der kranke Mann Europas: Genesung steht bevor

Deutschland ist zeitgleich mit großen Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen die hohe Steuerlast, der stark ausgebaute Sozialstaat und die Abhängigkeit vom Exportsektor. Die deutsche Industrie beispielsweise leidet unter der Abhängigkeit vom billigen russischen Erdgas – viele Unternehmen verlagern energieintensive Prozesse ins Ausland. Die restriktive Geldpolitik hat zudem stärkere Auswirkungen auf den zinssensitiven Industriesektor, der in Deutschland einen vergleichsweisen hohen Anteil an der Gesamtwirtschaft ausmacht. Gleichzeitig hat die Bevölkerung durch die hohe Inflation bei geringerem Lohnwachstum an Kaufkraft eingebüßt. Die Hoffnung stirbt trotz der schwierigen Gemengelage zuletzt und in diesem Fall ist das keine hohle Phrase: Viele der Faktoren für die derzeitige angespannte Lage sind temporärer Natur. Die Normalisierung bei Inflation und Geldpolitik wird Unternehmen wie Konsumenten größeren finanziellen Spielraum verschaffen, auch die Lage am Erdgasmarkt hat sich entspannt. Wichtige Vorlaufindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex oder das ifo-Geschäftsklima geben Mut zur Hoffnung.

Währenddessen hat der Zinserhöhungszyklus der EZB die Peripherieländer weitgehend verschont. Zwar müssen spanische und italienische Unternehmen und Haushalte heute rund dreimal so hohe Zinsen für Bankkredite bezahlen wie vor zwei Jahren. Im Straffungszyklus vor der Eurokrise 2012 waren die Zinsen in der doppelten Zeit nur halb so stark angestiegen. Allerdings benötigen die Privatunternehmen nun weniger Kredite, sie haben sich in den letzten 15 Jahren einer Entschuldung unterzogen. Kurz vor der Immobilien- und Bankenkrise 2009 hat der spanische Privatsektor ein Viertel seiner Einnahmen für Schuldzinszahlungen aufgewendet. Aufgrund der Bewertungskorrektur am Immobilienmarkt und der restriktiveren Kreditvergabe der Geschäftsbanken wurde diese Quote fast halbiert. Nun ist die spanische Privatwirtschaft nahezu gleich stark verschuldet wie die deutsche.

An den europäischen Anleihenmärkten herrschte auch deswegen ruhige Fahrt, weil die südeuropäischen Länder wachstumsstark waren. Zum einen profitierten die beliebten Urlaubsländer von Nachholeffekten im Tourismus, der vielerorts stärker als 2019 performte. Zum anderen sind die Peripherieländer Hauptprofiteure des europäischen Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ (siehe Grafik oben). In Spanien machen die zugesprochenen Mittel rund 6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus, in Italien sind es knapp 11 Prozent. Bei Deutschland und Frankreich sind es nur 1 bis 2 Prozent. Einige Länder setzten auf zusätzliche Fiskalpakete. In Italien erhielten Hausbesitzer mit dem „Superbonus 110“ Steuergutschriften in Höhe von 110 Prozent der Kosten für energetische Sanierungen. Das löste einen Immobilien-Boom aus und befeuerte den konjunkturellen Aufschwung nach der Pandemie.

Sonnenstunden in Südeuropa könnten bald zu Ende gehen

Die günstige Entwicklung in den Peripherieländern wird jedoch nicht ewig anhalten. Staatliche Unterstützungen wie der Superbonus erhöhen die Staatsverschuldung. Während der Privatsektor seine Verschuldung senken konnten, haben die Regierungen ihren Haushalt deutlich weniger konsolidiert. Die Staatsschulden in Prozent des nominalen BIP fielen etwa in Spanien und Italien aufgrund der höheren Inflation tiefer aus. Mit höheren Zinsen und einer rückläufigen Teuerung wird sich dieser Trend jedoch umkehren. Regierungen werden den finanziellen Spielraum einschränken und Unternehmen bald mit weniger fiskalpolitischer Unterstützung auskommen müssen. Italien wird dann aufgrund der hohen Schuldenquote wieder vermehrt in den Fokus der Finanzmärkte rücken. Der wirtschaftliche Trend in Europa könnte sich also schon bald umdrehen.

Marktkommentar von Christian Nemeth, Vorsitzender des Vorstandes und Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG.