Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit

11.02.2025

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Die Definition der Berufsunfähigkeit ist unter Zugrundelegung der Sichtweise eines durchschnittlich informierten Versicherungsnehmers auszulegen. Die Auslegung kommt sodann zu dem Ergebnis, dass dieser Versicherungsnehmer nur seine berufliche Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen als Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der leidensbedingten Einschränkung seiner beruflichen Fähigkeiten verstehen kann.

Hieraus ergibt sich auch, dass sich der bedingungsgemäß festgelegte Grad der Berufsunfähigkeit an dem fortlaufend sinkenden Leistungsniveau des Versicherungsnehmers als Vergleichsmaßstab orientieren muss. Denn der Versicherungsnehmer kann der Definition der Berufsunfähigkeit jedenfalls nicht entnehmen, dass ein während der Versicherungsdauer verschlechterter gesundheitlicher Zustand, der bereits einen Versicherungsfall ausgelöst hat, für die restliche Laufzeit der Versicherung als neuer Normalzustand gelten soll, an dem künftig der Eintritt der Berufsunfähigkeit zu messen wäre. Bei einem dahingehend abweichenden Verständnis würde der versprochene und durch ungeminderte Beiträge erworbene Versicherungsschutz während der Versicherungsdauer zunehmend entwertet werden.

Damit ist auch in solchen Fällen auf den vor dem Wechsel in gesunden Tagen vormals ausgeübten Beruf abzustellen, in denen der Versicherungsnehmer wegen fortschreitender Erkrankung seine Berufstätigkeit nach und nach leidensbedingt zurücknimmt oder auf einen vom Arbeitgeber eingerichteten Schonarbeitsplatz wechselt. Denn ein solcher leidensbedingter Berufswechsel kann nicht mehr als freiwillig erachtet werden, selbst wenn es grundsätzlich auf einer Willensbildung beruht.

Keine zeitliche Grenze der Betrachtung?

Es wird insbesondere ohne zeitliche Grenze auf den in gesunden Tagen ausgeübten Beruf abgestellt. Selbst ein jahrelang zurückliegender leidensbedingter Berufswechsel führt nicht dazu, dass auf den ausgeübten neuen – leidensbedingt gewählten – Beruf abzustellen wäre. Nach Ansicht des BGH könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen nämlich nicht entnehmen, ab wann eine gesundheitlich verminderte Leistungsfähigkeit und eine daran angepasste Berufsunfähigkeit im Weiteren zum versicherten Normalzustand werden könnte. Aus diesem Grund können keine zeitlichen Grenzen konstruiert werden.

Diese Auslegung greift allerdings nicht in den Fällen, in denen der Versicherungsfall erst längere Zeit nach dem Wechsel eintritt. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß in derartigen Fällen durchaus, dass die neue Tätigkeit – und gerade nicht die alte Tätigkeit – für seine Lebensumstände prägend ist. Aus diesem Grund würde er bei einer entsprechend zeitlichen Verfestigung auch davon ausgehen, dass die neue Tätigkeit dann die versicherte Tätigkeit ist, zumal von der „zuletzt ausgeübten Tätigkeit“ die Rede ist. Somit versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer in diesen Fällen unter der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht diejenige Zeit, in der er letztmalig völlig gesund war, sondern die Zeit vor demjenigen Zeitpunkt, zu dem er meint, der bedingungsgemäße Grad der Berufsunfähigkeit sei überschritten worden. Würde man immer streng nach den gesunden Tagen gehen, könnte sogar der Versicherungsnehmer Schwierigkeiten haben, die Tätigkeiten in diesem möglicherweise schon lange zurückliegenden Zeitraum zu rekonstruieren und zu beweisen.