Rückgang der Inflation bietet Chancen in den Emerging Markets

26.07.2023

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Angesichts der allgemeinen Verbesserung der Inflationsaussichten ist zu erwarten, dass eine Reihe von Zentralbanken der Schwellenländer mit Zinssenkungen beginnen könnte. Dies wird durch die Tatsache unterstützt, dass viele Schwellenländer den Industrieländern voraus sind und die Zinsen früher und aggressiver angehoben haben. Diese Meinung vertrat Peter Becker, Investment Director, beim Capital Ideas Live Event in Frankfurt. Insgesamt dürfte sich die Aussicht auf Zinssenkungen in Verbindung mit einem angemessenen Wachstum in den Schwellenländern positiv auf Anleihen in Lokalwährungen der Schwellenländer auswirken.

Die Schwellenländer hätten schon länger mit der Inflation zu kämpfen, das vergangene Jahr sei da keine Ausnahme. Dafür gebe es mehrere Gründe: steigende Rohstoffpreise infolge des Russland/Ukraine-Konflikts, Lieferketten-Probleme und schwache Schwellenländerwährungen seien Treiber des Preisauftriebs gewesen. Doch Becker ist überzeugt, dass sich die Vorzeichen ändern: Mit der Umkehrung des letztjährigen Anstiegs der Lebensmittel- und Energiepreise, der Lockerung von Lieferkettenengpässen und einem schwächeren US-Dollar habe sich die Inflation in den meisten aufstrebenden Volkswirtschaften sowohl im Monats- als auch im Jahresvergleich verlangsamt. Darüber hinaus seien die Inflationsüberraschungen, die in den letzten Jahren zumeist positiv ausfielen, nun im Allgemeinen negativ geworden. „Dieser Disinflationstrend dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen“, so Becker. 

Entschlossene Zentralbanken Hinzu komme die Tatsache, dass die Zentralbanken vieler Schwellenländer denen der Industrieländer voraus gewesen seien und die Zinssätze früher und aggressiver angehoben hätten, um die Inflation zu bekämpfen. Ein Beispiel für das entschlossene Vorgehen in den Emerging Markets habe die Notenbank von Brasilien gegeben, welche die Zinsen von zwei Prozent (Stand: Ende 2020) insgesamt auf die derzeit aktuellen 13,5 Prozent erhöht habe.  Mit Erfolg: In Brasilien sei die Inflation bereits auf unter vier Prozent gefallen. Das Land sei aber hier nur ein Beispiel für einen Markt, in dem es einen positiver Realzins gebe, also einen Zinssatz, der abzüglich der Inflation positiv sei. „Es ergeben sich in den Emerging Markets historisch einmalige Gelegenheiten, da die Inflation fällt, gleichzeitig aber die Zinsen auf einem recht hohen Level sind“, sagt Becker. 

Entlastung auf der Angebotsseite Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der Inflationsentwicklung sei zudem die Angebotsseite. In vielen entwickelten Märkten hätten die Regierungen in Corona-Zeiten Konjunkturprogramme aufgelegt. Gleichzeitig seien die Konsumenten damals jedoch gar nicht in der Lage gewesen, Geld auszugeben. „Die Sparquote war daher im privaten Sektor recht hoch. In der Nach-Corona-Zeit floss dann viel Geld in den Konsum und führte zu Problemen auf der Angebotsseite“, erläutert Becker. „In den Emerging Markets haben die Regierungen hingegen schlicht nicht genug Geld gehabt, um monetäre Anreize zu setzen. Es gibt auf der Angebotsseite daher auch keine Knappheit, was die Inflation abschwächt.“

Wann genau der Abwärtstrend bei den Leitzinsen Realität werde, sei schwierig zu prognostizieren. „Aber in Verbindung mit insgesamt vernünftigen Fundamentaldaten, relativ attraktiven Nominalzinsen sowie positiven Realzinsen in weiten Teilen der Schwellenländer sind Schwellenländeranleihen recht positiv zu bewerten“, sagt Becker.  

Angesichts der unterschiedlichen Politik- und Inflationsdynamik in den einzelnen Ländern sowie der verschiedenen relativen und absoluten Bewertungen der Emittenten komme es jedoch darauf an, selektiv vorzugehen. „Wir sehen in lateinamerikanischen Lokalwährungsanleihen angesichts der Kombination aus attraktiven Nominal- und positiven Realzinsen, moderater Inflation und proaktivem Verhalten der Zentralbanken ein Wertpotenzial“, erklärt der Experte. Die makroökonomischen Bedingungen sähen jetzt besser aus als Ende letzten Jahres und die Tendenz zu positiveren Fundamentaldaten dürfte die Bedenken hinsichtlich politischer Risiken in diesen Ländern vorerst überwiegen. Die mittel- und osteuropäischen Länder würden hingegen noch immer mit der Eindämmung der Inflation kämpfen und die realen Zinssätze seien nach wie vor negativ. Die Region beginne jedoch, attraktiver zu werden.

Eine Frage des Dollars Schließlich werde auch der US-Dollar eine wichtige Rolle spielen, da es für die Zentralbanken der Schwellenländer schwierig sein werde, in einem Umfeld mit starkem Dollar und schwachen lokalen Währungen die Zinsen zu senken. Ein starker US-Dollar habe die Zentralbanken der Schwellenländer in der Vergangenheit oft dazu gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, während ein schwächerer Dollar es ihnen ermöglicht habe, die Zinsen zu senken. „Abgesehen davon, dass der US-Dollar nach fast allen Bewertungsmaßstäben überbewertet ist, gibt es jetzt eine Reihe von Faktoren, die für einen schwächeren Dollar sprechen, darunter das bevorstehende Ende des Zinserhöhungszyklus der Fed und die Wiedereröffnung Chinas“, sagt Becker. Auch wenn noch nicht klar sei, dass die Hausse des US-Dollars eine Wende genommen habe, dürfte seiner Meinung nach der größte Teil des allgemeinen US-Dollar-Aufwertungszyklus hinter den Märkten liegen.

Außenbilanzen verbessern sich Hinzu komme: Die fundamentalen Aussichten für die Schwellenländer sähen konstruktiv aus, was eine Trendwende bei den Schwellenländerwährungen gegenüber dem US-Dollar unterstützen könnte. „Die Inflation und die Sorge um die Lebenshaltungskosten haben Druck auf die Haushaltsdefizite ausgeübt, die im Vergleich zu früheren Höchstständen in den Schwellenländern hoch sind, obwohl die öffentliche Verschuldung immer noch unter dem Niveau der Industrieländer liegt und überschaubar bleibt“, stellt Becker fest. Die Devisenreserven seien in gewissem Umfang geschrumpft, doch hätten sich die Außenbilanzen vieler Schwellenländer dank unterbewerteter Wechselkurse allgemein verbessert. (ah)