Jobkiller Bürgerversicherung? 100.000 Arbeitsplätze in Gefahr

09.04.2013

Eine von Ver.di veranlasste Studie sorgt für Aufregung. Brisant seien die Folgen einer Bürgerversicherung. Bei einer Zwangskasse unter dem Dach der GKV könnten bis zu 100.000 Arbeitsplätze wegfallen.

2013-04-10 (fw/db) Ein Gutachten über die Beschäftigungswirkung der Bürgerversicherung sorgt für Wirbel. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Umstellung auf eine Zwangskasse unter dem Dach der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mittel- und langfristig bis zu 100.000 Arbeitsplätze in der Privaten Krankenversicherung (PKV) kosten könnte, die sogenannte „Bürgerversicherung“ würde als gesetzliche Zwangskasse zum Jobkiller.

Die von der Gewerkschaft Ver.di beauftragte Hans-Böckler-Stiftung hatte ein Gutachten noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben, weil die Arbeit noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Gestern veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) aber in Auszügen brisanten Zahlen und erste Ergebnisse aus dieser Studie.

Der freie Journalist und Gesundheitsexperte Dr. Robert Paquet, der früher das Berliner Büro des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen geleitet hatte, kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass durch den Stopp des Neugeschäfts in der PKV 35.000 Arbeitsplätze bei den Versicherungen und bei den auf die private Vollversicherung spezialisierten Versicherungsvermittlern sofort bedroht würden.

GKV hat keine Ersatzarbeitsplätze für arbeitslose Krankenversicherungs-Experten

"Kompensationsmöglichkeiten durch die Ausweitung des Zusatzversicherungsgeschäfts sind nicht ersichtlich", zitiert die FAZ Paquet. "Ersatz-Arbeitsplätze in der GKV sind nicht zu erwarten, weil die Krankenkassen einen allmählichen Zuwachs ohne zusätzliches Personal verkraften würden."

Wenn die Privatversicherten die Option erhalten sollten, in die neue Bürgerversicherung zu wechseln oder bei der PKV zu bleiben, werden nach Einschätzung des Gutachters nicht sehr viele in der PKV verbleiben.

Deshalb sieht er weitere Arbeitsplätze in Gefahr. "Insgesamt sind also durch die Bürgerversicherung die Arbeitsplätze von rund 60.000 Arbeitnehmern und die Erwerbsmöglichkeiten von bis zu 50.000 selbstständigen Versicherungsvermittlern in Frage gestellt."

Ver.di und Hans-Böckler-Stiftung hadern mit der vorzeitigen Veröffentlichung

Ver.di selbst bezeichnet die veröffentlichten Zahlen als "nicht nachvollziehbar". Sprecher Stephan Schmitz verwies darauf, dass der Gutachtenauftrag bislang nur unvollständig erfüllt wurde. Einige denkbare Szenarien bei der Umstellung auf die Bürgerversicherung als Einheitskasse seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Für die Gewerkschaften seien gerade die Übergangszeiträume unter Berücksichtigung der wichtigen Stellgrößen wie die Beitragsbemessungsgrenzen, die Wechselfristen, das Wechselinteresse der Privatversicherten, die Eigentumsrechte der PKV-Vollversicherten und der Beamten sowie das künftige Zusatzversicherungsgeschäft von Interesse gewesen, so Schmitz.

Auch die Hans-Böckler-Stiftung betont in einer Stellungnahme, dass es bislang keine belastbaren Ergebnisse gebe. Der „Entwurf“ sei an den Autor zurückgegeben worden, weil die Studie dem Forschungsauftrag und den Standards der Stiftung noch nicht genüge. "Das liegt an der hohen Komplexität des Themas und am schwierigen Datenzugang."

Betriebsratsinitiative "Bürgerversicherung? Nein Danke"

Der Vorsitzende des PKV-Verbandes Reinhold Schulte hat Ver.di jetzt aufgefordert, das Gutachten vollständig zu veröffentlichen.

"Es wäre eine angemessene Reaktion auf die erschütternden Erkenntnisse dieses Gutachtens, wenn Verdi und der Deutsche Gewerkschaftsbund ihre ideologisch motivierten Gremienbeschlüsse für eine Bürgerzwangsversicherung überdenken und revidieren würden", betont Schulte. "Der Blick ins Ausland zeigt, dass Einheitssysteme zu viel stärkeren Leistungskürzungen und in der Folge zu echter Zwei-Klassen-Medizin führen", warnt PKV-Chef Schulte.

Vor Wochen war bereits eine Betriebsratsinitiative unter dem Motto ["Bürgerversicherung? Nein Danke"](http://www.buergerversicherung-nein-danke.de/ "Link to "Bürgerversicherung? Nein Danke"") an die Öffentlichkeit gegangen. Die Betriebsräte aus einer Reihe von PKV-Unternehmen warnen, dass die Bürgerversicherung über 75.000 Jobs in der deutschen Assekuranz vernichte.

Dietmar Braun, Redakteur finanzwelt