Frostige Aussichten für die deutsche Wirtschaft
07.01.2025
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Gleich zu Beginn des neuen Jahres kam die Meldung, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland enorm hoch ist. So viele Firmenpleiten wie während der Finanzkrise 2009 vermeldet eine Studie des Leipniz Instituts für Wirtschaftforschung (IWH) in Halle.
Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland lag laut IWH-Insolvenztrend im November bei 1.345. Das sind 12% weniger als im Vormonat, aber 38% mehr als im November 2023. Der Novemberwert liegt zudem 52% über dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, also vor der Corona-Pandemie. Das IWH erhebt Frühindikatoren, die dem Insolvenzgeschehen um zwei bis drei Monate vorauslaufen. Auf Basis dieser Indikatoren erwartet Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am IWH, für Dezember 2024 und Januar 2025 ähnlich viele Insolvenzen wie im November. Damit werden die Insolvenzzahlen auch weiterhin deutlich über dem Niveau von vor der Doppelkrise aus Pandemie und Kostenschocks liegen. „Sollte sich das hohe Niveau der Insolvenz-Frühindikatoren aus dem November auch im Dezember bestätigen, muss ab Februar mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen gerechnet werden“, sagt Müller.
Im Winter 2024/2025 setzt sich die Stagnation der deutschen Wirtschaft fort. Die Industrie leidet unter einem Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Deswegen und aufgrund der unklaren wirtschaftspolitischen Aussichten halten sich Unternehmen und Verbraucher mit ihren Ausgaben zurück. Erst wenn die Unsicherheit sinkt, werden die gestiegenen Einkommen für höhere Konsumausgaben verwendet werden. Nach der Winterprognose des IWH dürfte das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 um 0,2% sinken und im Jahr 2025 um 0,4% expandieren. Im September waren die Konjunkturforscher noch von einem Nullwachstum für das Jahr 2024 und einem Plus von 1,0% für 2025 ausgegangen. Für Ostdeutschland wird ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,5% sowohl in diesem Jahr als auch im Jahr 2025 erwartet.
Zur Jahreswende dürfte die weltweite Produktion weiterhin in etwa so schnell wie in der Dekade vor der Pandemie expandieren. Die Konjunktur sei in den USA „nach wie vor bemerkenswert robust, im Euroraum dagegen nur verhalten“. In China belastet weiterhin eine Immobilienkrise den Wohnungsbau und die Finanzen von Haushalten, Unternehmen sowie der regionalen Gebietskörperschaften. Für das Jahr 2025 muss damit gerechnet werden, dass der gewählte US-Präsident sein Wahlkampfversprechen von Zollerhöhungen teilweise einlöst. In den USA werden wegen der Überauslastung der Wirtschaft höhere Preise und eine restriktivere Geldpolitik die Folge sein. Negativ sind die Folgen für den Welthandel und die deutschen Exporte, auch verliert die internationale Arbeitsteilung an Effizienz. Kurzfristig dürften allerdings Handel und Produktion von Versuchen profitieren, Zollerhöhungen durch rasche Geschäftsabschlüsse zuvorzukommen.
Die gesamtwirtschaftliche Produktion in Deutschland und auch die Exporte sind derzeit lediglich in etwa so hoch wie im Jahr 2019. Sehr deutlich unter ihrem Stand vom Jahr 2019 lagen im dritten Quartal die Ausrüstungsinvestitionen: Mit dem schlechteren Exportgeschäft scheint auch der Bedarf an neuen Ausrüstungen zu sinken. „Die strukturellen Probleme wie die Verteuerung der Energie in Deutschland, die Alterung der Erwerbsbevölkerung und der Fachkräftemangel sind nicht leicht zu lösen“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident des IWH. „Das wird jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bewusst und führt zu Verunsicherung, mit der Folge, dass die privaten Haushalte mehr sparen.“ Dazu kommt die hohe wirtschaftspolitische Unsicherheit. Auch dürften die Sorgen um den Arbeitsplatz zunehmen, denn der Beschäftigungsaufbau ist zum Stillstand gekommen.
Für das Jahresschlussquartal zeichnet sich eine erneute Stagnation des Bruttoinlandsprodukts ab. In den ersten Monaten des kommenden Jahres wird dämpfend wirken, dass eine vorläufige Haushaltsführung des Bundes die öffentlichen Ausgaben limitiert. Wenn danach eine Regierungsbildung die wirtschaftspolitische Unsicherheit verringert, dürfte der private Konsum etwas anziehen. Schließlich sind die realen Nettolöhne zuletzt deutlich gestiegen. Auch die lockerere Geldpolitik hilft der Konjunktur. „Ein kräftiger Aufschwung ist indes nicht zu erwarten“, sagt Oliver Holtemöller.
Für diese Prognose lassen sich erhebliche Risiken ausmachen. Zum einen haben jüngst große Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes einen erheblichen Beschäftigungsabbau angekündigt. Sollten die Meldungen über Stellenstreichungen in großem Stil anhalten, würde sich die hier prognostizierte Erholung der Konsumnachfrage im kommenden Jahr nach Einschätzung der IWH-Konjunkturforscher wohl nicht einstellen. Zudem würde ein weltweiter Handelskrieg die exportorientierte deutsche Wirtschaft besonders hart treffen. Schließlich gibt es noch ein innenpolitisches Risiko: „Soll die wirtschaftliche Zuversicht wieder zunehmen, müsste es im kommenden Frühjahr zur Bildung einer stabilen Regierung mit erkennbarem wirtschaftspolitischen Konzept kommen“, so Holtemöller. Für das Jahr 2024 reicht das 68%-Prognoseintervall für die Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts von –0,5% bis 0,1%, für das Jahr 2025 von –0,9% bis 1,9% und für 2026 von –0,5% bis 3,3%. (fw)