Fortgang einer juristischen Odyssee?
19.10.2023
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Im März dieses Jahres gewann die juristische Aufarbeitung des sogenannten Diesel-Skandals an neuer Dynamik: Am 21. März 2023 verkündete der EuGH ein Urteil (Az. C – 100/21), das bei vielen „Diesel-Kunden“ Grund zur Hoffnung auf einen Schadensersatzanspruch auslöste. Der EuGH stellte nach Vorlage durch das LG Ravensburg fest, dass die streitgegenständlichen Artikel in den Dieselverfahren (Art. 18 Abs.1, 26 Abs.1 und 46 der Richtlinie 2007/46/EG, Art. 5 Abs.2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007) neben allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen der Käufer schützen.
Pikant an dieser Stelle: Diese Frage hatte der BGH noch im Jahr 2021 (16.09.2021 – Az.: VII ZR 190/20) verneint und sah auch keine Notwendigkeit – trotz des Umstandes, dass es sich um Normen des europäischen Rechts handelt – diese Frage dem EuGH vorzulegen. Die Rechtslage sei klar, so der BGH (sog. acte claire).
Die Einzelheiten
Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des BGH wurden die bisherigen Schadensersatzansprüche bezüglich aller Abschalteinrichtungen auf den § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestützt: Dieser erfordert neben einer vorsätzlichen Schädigung auch eine sittenwidrige Begehungsweise. Bei juristischen Personen wird seitens der Rechtsprechung für eine Organhaftung nach § 31 BGB nur auf die Vorstandsebene abgestellt. Eine Erweiterung – etwa auf leitende Ingenieure – wurde bislang verneint. In der Gesamtschau, mit der Schwierigkeit entsprechende Informationen vorzulegen, die einen Schluss auf Vorsatz rechtfertigen, stellen sich diese Voraussetzungen als recht hoch dar.
Bei dem Motor von Volkswagen (Motortypnummer: EA 189), bei dem die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand funktionierte, nicht aber im „Realbetrieb“ (sog. Umschaltlogik) wurde seitens der Rechtsprechung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bejaht. Bei Motoren, die mittels Thermofenster die Abgasreinigung kontrollierten, wie dies bei Mercedes-Benz der Fall war, gestaltet sich die Sachlage anders: Das Thermofenster beschreibt eine weitere Möglichkeit der Abgasnachbehandlung, wobei Abgase nochmals in die Brennkammern geleitet werden, um an einem weiteren Verbrennungsvorgang teilzuhaben. Das Verfahren ist technisch nur bei einer bestimmten Umgebungstemperatur umzusetzen, um die Effektivität der Verbrennung zu gewährleisten. Die Temperatur, bei der der Vorgang sinnvoll umgesetzt werden kann, wird als Intervall angegeben (Thermofenster). Über- oder unterschreitet die Außentemperatur den jeweiligen Höchst- bzw. Mindestwert des Intervalls, wird die Abgasnachbehandlung heruntergefahren. Im Grundsatz erfolgt hier die Abgasreinigung auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise.
Der BGH stellte in seinem Urteil vom 16.09.2021 (Az.: VII ZR 190/20) klar, dass den Hersteller im Hinblick auf eine unsichere Rechtslage allenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe. Ein möglicher deliktischer Schadensersatzanspruch gem. § 826 BGB wurde damit nicht zuerkannt. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz (für den auch Fahrlässigkeit ausreicht) verneinte der BGH mit dem Argument, dass die streitgegenständlichen europäischen Verordnungen bzw. Richtlinien keinen Drittschutz vermitteln, die Käufer sich daher nicht auf diese Artikel berufen können. Vor diesem Hintergrund ist das obige Urteil des EuGH zu sehen, der aus den zitierten Artikeln auch einen Schutz der Fahrzeugkäufer herleitet. Dies ist insofern konsequent, als dass sich die Käufer mit der vom Hersteller ausgegebenen Übereinstimmungserklärung auf die Einhaltung der maßgeblichen Normen regelmäßig verlassen dürfen.
Praxishinweis
Können die Fahrzeughalter daher nun auf eine Kompensation hoffen? Klare Antwort: Es kommt darauf an. Die Vorgaben des EuGH übersetze der BGH in die hiesige Rechtstradition und billigt den Käufern einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller in Höhe von 5 bis 15 % des Kaufpreises zu, wenn und sofern eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorgelegen hat. Zusätzlich müsse auch geprüft werden, ob vermeidbarer Verbotsirrtum“ seitens der Hersteller vorliegen könnte. Dies zu beurteilen, sei Sache des jeweiligen Gerichts, das die die tatsächlichen Umstände zu würdigen habe. Hier bekamen die Kläger bereits ersten Gegenwind: Das OLG Stuttgart teilte in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2023 in einer vorläufigen Rechtseinschätzung mit, einen solchen Irrtum „generalisierend“ im Falle von Thermofenstern anzunehmen. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) habe diese Abschalteinrichtung schließlich unbeanstandet gelassen. Beachtlich insofern ist, dass dies auch für Fälle gelten sollte, in denen Hersteller für bestimmte Modelle gar keine Genehmigung eingeholt haben. Es sei, so das OLG Stuttgart, davon auszugehen, dass diese „hypothetisch“ genehmigt worden wären. Es geht aber auch anders: In einer – soweit ersichtlich – einzigartigen Entscheidung bejahte das OLG München am 07. August 2023 (Az.: 3 U 5954/20) eine Haftung des Herstellers nach § 826 BGB. Die streitgegenständliche Abschalteinrichtung, in Gestalt verschiedener Betriebsmodi des Fahrzeugs, spritzte jeweils unterschiedliche Mengen an AdBlue in die Brennräume.
Fazit
Wie die Umsetzung der geänderten Rechtsauffassung durch den BGH zeigt, ist die Position der schadensersatzbegehrenden Käufer eines vom Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeuges (nur) vordergründig gestärkt. Ob und inwiefern die Käufer erfolgreich auf eine Kompensation hoffen können, muss unter Einholung fachkundigen Rats im Wege einer umfassenden Einzelfallprüfung ermittelt werden. Ungeklärt ist beispielsweise auch, wie mit anderen Abschalteinrichtungen, wie der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) oder dem SCR-Katalysator verfahren wird. Jedoch führt auch die Annahme der Unzulässigkeit dieser Vorrichtungen auch nicht „automatisch“ zu einem Schadensersatzanspruch. Denn wenn das Auto in der Zwischenzeit der acht Jahre – wie üblich – genutzt wurde, könnte die Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer, den Schadensersatzanspruch bereits vollständig kompensiert haben.
Christoph Walker
Rechtsanwalt
TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH