Die Märkte kennen zur Zeit nur noch Optimisten - diese begehen „Cherry Picking“
22.02.2023
Serdar Kucukakin, Senior Sovereign Research-Analyst, Aegon Asset Management Foto: © Aegon Asset Management
Optimisten zufolge ist diese Lockerung notwendig und ein erwartetes Ergebnis der Zinserhöhung, die sich selbst korrigieren und so eine harte Landung vermeiden wird. Da es keine Anzeichen für eine Lockerung auf dem Arbeitsmarkt gibt, stützen BIP-Prognosemodelle wie das der Atlanta Fed diese Ansicht. Wenn man die Ergebnisse der Umfrage, des Arbeitsmarktes und des BIP-Modells nebeneinanderstellt, kann man das „Rosinenprinzip“perfekt anwenden, denn jede dieser Ansichten ist nachvollziehbar.
Europa scheint in der Frage, ob es eine Rezession geben wird oder nicht, eindeutiger zu sein. Ja, es wird sie geben, so die einhellige Meinung. Aber je nachdem, was man betonen möchte, ist das Rosinenpicken immer noch möglich.
In Deutschland zum Beispiel war der deutliche Rückgang der Stimmungsindikatoren im vergangenen Jahr ein klares Vorzeichen für das, was in diesem Jahr zu erwarten ist. Der enorme Rückgang der Fabrikaufträge (-11 % gegenüber dem Vorjahr im November 2022) hat diese Einschätzung nur noch verstärkt. Die jüngste Entspannung bei den Stimmungsindikatoren hat jedoch dazu geführt, dass sich das Kirchturmdenken wieder eingeschlichen hat.
Realistisches Szenario
Bei der Betrachtung der grundlegenden Faktoren, welche die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr bestimmen könnten, ist ein Schritt weg von den Daten und ein gewisses Maß an Realismus erforderlich. Die Inflation war im vergangenen Jahr höher als der Nominallohnanstieg, und das könnte auch in diesem Jahr so bleiben. Diese negative Wechselwirkung zwischen Lohnwachstum und Inflation ist ein eindeutiges Problem für die Kaufkraft der Verbraucher.
Die Verbraucherausgaben sind die wichtigste Stütze des Wirtschaftswachstums. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt spielt bestenfalls eine neutrale Rolle. Wenn der Arbeitsmarkt angespannt bleibt, wird er die Kaufkraftschwächung nicht verstärken. Wenn er sich aber lockert, wird er die Kaufkraftschwäche definitiv verschärfen. Es gibt eine weitere Entwicklung, die sich negativ auswirken wird. Die Zentralbanken haben die Zinsen bereits deutlich angehoben. Aber es wird noch mehr kommen. Selbst die größten Optimisten würden zustimmen, dass höhere Zinsen die Ausgaben von Verbrauchern und Unternehmen bremsen.
Hypothetisch gesehen könnte der Nominallohnanstieg in diesem Jahr die Inflation übersteigen und so den Kaufkraftverlust teilweise ausgleichen. Doch was würde in diesem Szenario passieren, wenn die zugrunde liegende Kerninflation in der Eurozone und den USA bereits auf einem hohen Niveau liegt? In diesem Fall wird das realistische Szenario sehr pessimistisch und die Volkswirtschaften galoppieren in die Stagflation. Das Problem mit der Aussage "Diesmal ist es anders" ist, dass es selten anders ist, wenn man in den Rückspiegel schaut. Wann haben wir das letzte Mal eine milde - oder gar keine - Rezession erlebt, obwohl die Kaufkraft der Verbraucher erheblich geschwunden ist, während die Zentralbanken die Zinsen aggressiv angehoben haben?
Gastbeitrag von Serdar Kucukakin, Senior Sovereign Research-Analyst, Aegon Asset Management