Deutsche Wiederaufrüstung: Beste Wachstumsaussichten seit der Wende

17.03.2025

Steven Bell. Foto: @ Columbia Threadneedle Investments

Lenin hat einmal gesagt: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert; und Wochen, in denen Jahrzehnte passieren“. Auf Deutschland trifft dieses Sprichwort zu – zumindest was den Haushalt betrifft, ist es seit Jahrzehnten das konservativste große Land der Welt. Die Bundesrepublik ist das einzige Land, das in seiner Verfassung eine Schuldenbremse verankert hat. Doch in den letzten Tagen hat der neue Bundeskanzler das alte Parlament genutzt, um diese aufzuweichen und eine massive Erhöhung der Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung vorzuschlagen. Der Vorschlag ist alles andere als beschlossene Sache. Es sind noch einige Hürden zu überwinden, aber die Chancen stehen trotz der vorläufigen Blockade durch die Grünen gut und die Summen sind gewaltig.

In der Zwischenzeit hat der Europäische Rat ein Kreditprogramm in Höhe von 150 Milliarden Euro vorgeschlagen, während die Kommission die Regeln für übermäßige Defizite lockern will. Dies ist besonders wichtig für Italien und Frankreich – allerdings sind die Finanzmärkte ein wichtiger Faktor, denn Investoren sind über die bestehenden Defizite der Länder besorgt, von einer zusätzlichen Kreditaufnahme ganz zu schweigen.

Deutschland hat das Know-how für militärische Unabhängigkeit von den USA

Momentan steht jedoch Deutschland im Mittelpunkt. Angesichts des schwachen Wachstums und niedriger Zinssätze könnte eine derartige fiskalische Lockerung eine Wende bedeuten. Seit Russlands Krim-Annexion im Jahr 2014 hat Europa – mit Deutschland in Führung – die Verteidigungsausgaben erhöht. Diese liegen damit bereits nahe am NATO-Ziel von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das für die gesamte Europäische Union gilt. Ein großer Teil des Beschaffungsbudgets fließt jedoch ins Ausland, vor allem in die USA.

Nun ist Europa allerdings zu dem Schluss gekommen, dass es sich auf die USA als Partner nicht mehr verlassen kann, und wird dementsprechend seinen eigenen Weg gehen. Das bedeutet Ausgaben für die heimische Produktion – eine schwierige Aufgabe, denn der europäische Verteidigungssektor hat großen Aufholbedarf. Wenn es ein Gegenteil von „kampferprobt“ gibt, dann trifft es mit Sicherheit auf Europa zu. Zum einen fehlen Europa die Kapazitäten für den Bau von Drohnen, einem wichtigen Bestandteil der modernen Kriegsführung. Zum anderen stellt die Region auch keine Raketen zur Drohnenabwehr her. Beides kommt aus den USA. Nichtsdestotrotz verfügt vor allem Deutschland über ein großes Know-how in den Bereichen Ingenieurwesen und Hardwaretechnologie. Das Land könnte also ein wichtiger Akteur in der globalen Verteidigungsindustrie werden.

Aus der Stagnation zu stetigem Wachstum

Was dürfen Anleger also von den Volkswirtschaften und Märkten erwarten? Die Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung zu erhöhen, braucht Zeit – der Schluss liegt also nahe, dass das deutsche BIP kurzfristig kaum betroffen sein wird. Das ist jedoch ein Trugschluss, denn Deutschland steht vor ernsthaften strukturellen Problemen – kein russisches Billigerdgas mehr, die Autoindustrie ist zusammengebrochen und die Nachfrage aus dem Schlüsselmarkt China bleibt weiter aus. Die Reaktion der deutschen Verbraucher: Mehr sparen und weniger ausgeben.

Die Aussicht auf eine anhaltende Finanzspritze dürfte das Vertrauen aber wieder stärken und die Verbraucher zum Konsum animieren. Der Paketvorschlag des neuen Bundeskanzlers beinhaltet auch Maßnahmen, um die Energiekosten zu senken und die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu erhöhen. Die bisherigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft waren Stagnation, doch jetzt dürfen sich Anleger auf ein stetiges Wachstum freuen. Und wenn sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Erdgas verschiebt, könnten sogar die Energiepreise in Deutschland und im übrigen Europa mittelfristig deutlich stärker sinken.

Der Rentenmarkt hat dies mit einem starken Anstieg der Renditen deutscher Bundesanleihen quittiert. Dennoch sind sie immer noch niedrig und liegen weit unter den britischen oder US-amerikanischen. Auch der Aktienmarkt freut sich. Die Zölle sind dagegen weiterhin ein Negativfaktor – hier können wir allerdings nur abwarten, wie hoch diese ausfallen und wie schwerwiegend ihre Folgen sein werden. Eine stärkere Wirtschaft in der Eurozone würde ihren wichtigsten Handelspartnern, darunter Großbritannien, zugutekommen. Aber die zusätzliche Kreditaufnahme führt auch zu hohen Defiziten in den Industrieländern. Dies würde im Allgemeinen Aktien gegenüber Anleihen begünstigen. Das letzte Mal, als der Ausblick für das deutsche Wachstum so optimistisch war, war 1990 nach der Wiedervereinigung. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat uns damals eine Friedensdividende beschert – jetzt ist Russland erneut eine Bedrohung. Und dies beschert uns eine etwas andere Art der Dividende.

Marktkommentar von Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments.

Finanzwelt Logo
Copyright © finanzwelt online - Alle Rechte vorbehalten
Verpassen Sie keine Nachricht aus der Welt der Finanzberatung, melden Sie sich kostenlos an!
Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in den Datenschutzbestimmungen.

Für den Versand unserer Newsletter nutzen wir rapidmail. Mit Ihrer Anmeldung stimmen Sie zu, dass die eingegebenen Daten an rapidmail übermittelt werden. Beachten Sie bitte deren AGB und Datenschutzbestimmungen .

Ups! Etwas ist schiefgelaufen

Die aufgerufene Seite konnte nicht gefunden werden.