Das makroökonomische Umfeld dürfte sich verschlechtern
22.05.2023
Jérémie Boudinet ist Head of Investment Grade Credit - Foto: © La Française AM
Die ersten knapp fünf Monate im laufenden Jahr waren nicht einfach. Im Gegenteil: Nach wie vor ist die Inflation vergleichsweise hoch. Und im März erhitzte eine mögliche Bankenkrise 2.0 die Gemüter. finanzwelt sprach mit Jérémie Boudinet, Head of Investment Grade Credit, La Française AM.
finanzwelt: Mitunter wird über eine Finanzkrise 2.0 / Bankenkrise diskutiert. Inwiefern ist das Risiko einer weiteren (globalen) Krise noch nicht gebannt?
Jérémie Boudinet: Krisen lassen sich nie ganz vermeiden. Selbst mit immer strengeren Vorschriften, zumindest für europäische Banken, verschwinden die Risiken nie. Zum Teil wurden sie vom Bankensystem in das Schattenbankensystem verlagert, in dem Vermögensverwaltungsgesellschaften, Pensionsfonds und andere Akteure die Banken als direkte Kreditgeber für Unternehmen oder Haushalte ersetzen.
finanzwelt: Könnte eine ähnliche Krise wie 2007 drohen?
Boudinet: Das glauben wir nicht. Allerdings halten wir eine Kreditklemme für sehr wahrscheinlich, mit einer unvermeidlichen Konsolidierung und Stärkung des US-Bankensystems, aber die Banken sind bei weitem nicht mehr so riskant und leveraged wie 2007. Auch die Reaktionsfähigkeit von Regierungen, Aufsichtsbehörden und Zentralbanken hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert. Sie haben aus ihren Fehlern gelernt, insbesondere in Europa, wo die Folgen der großen Finanzkrise jahrelang zu spüren waren.
finanzwelt: Wo liegen die Unterschiede zu 2007/08? Wo gibt es ggf. Gemeinsamkeiten?
Boudinet: Keine Krise gleicht der anderen. Das globale Bankensystem befindet sich in einem viel besseren Zustand als 2007, mit deutlich stärkeren und sichereren Instituten. Die gegenwärtigen Turbulenzen im US-Bankensystem sind das Ergebnis von Bankvorschriften, die für regionale Akteure nicht ordnungsgemäß angewandt wurden und denen es an Aufsicht mangelt. Die Ähnlichkeit besteht darin, dass ein Teil des US-Bankensystems noch immer nicht ordnungsgemäß reguliert und beaufsichtigt wird. Die meisten US-Banken, die nicht zu den Top 6 gehören, ähneln den Banken in Europa und Amerika, was das Risiko und die aufsichtsrechtliche Überwachung vor der Einführung der Basel-III-Vorschriften im Jahr 2013 angeht.
finanzwelt: Stehen die international agierenden Finanzinstitute heute besser dar?
Boudinet:Ja, zweifellos. Alle europäischen Banken haben in den letzten zwölf Jahren große Kapital- und Liquiditätspuffer aufgebaut, während sie gleichzeitig immer strengeren Vorschriften unterworfen wurden. Dies hat sie gezwungen, sich zu konsolidieren und solider, aber auch größer zu werden, als sie je waren. Das Gleiche gilt für die Top-6-Banken in den USA.
finanzwelt: Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte – wie fällt Ihr Fazit mit Blick auf die volkswirtschaftliche Lage und den Opportunitäten an den Märkten aus?
Boudinet: Das makroökonomische Umfeld dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte verschlechtern, wenn die Folgen der anhaltenden Inflation und der hohen Zinsen zu einer Belastung für Unternehmen und Haushalte werden. An den Anleihemärkten könnten sich Chancen ergeben, entweder durch hochverzinsliche Credit Bonds mit kurzer Duration oder durch die Ausweitung der Duration bei Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten. Die Volatilität dürfte jedoch erhöht bleiben, so dass wir auch bei unserer Anleihenallokation vorsichtig bleiben. (ah)