Böhmermann vs. Erdogan: Strafbare Majestätsbeleidigung?
12.06.2016
Jan Böhmermanns / Foto: © obs/ZDFneo/Ben Knabe
Kaum jemand hätte Jan Böhmermanns Machwerk beachtet, wäre der türkische Präsident nicht so ehrpusselig. Nun diskutiert die internationale Presse, und die Bundesregierung errötet bei der kontextbezogenen Betrachtung von „Fellatio mit hundert Schafen“. Nur eines steht fest: Böhmermann lebt wunschgemäß in einem Land, in dem das Erkunden der Grenze der Satire erlaubt, erwünscht und Gegenstand zivilgesellschaftlicher Debatten sein kann. Ob er die Grenze überschritten hat, stellt hierzulande ein Gericht fest. Das sieht auch Frau Merkel so. Und hierzulande hat auch die Kanzlerin das gute Recht, ihre Meinung zu sagen: Böhmermanns Text sei „bewusst verletzend“, habe sie den türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu wissen lassen. Damit stand die vermeintliche Zwickmühle. Denn die allseits erörterte Strafverfolgung wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB), die historische Majestätsbeleidigung, setzt zweierlei voraus: ein Strafverlangen der ausländischen Regierung und eine Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung. „Dann setzen wir doch die Bundesregierung in Zugzwang“, werden sich die Herren vom Bosporus gedacht haben. „Wenn sie Böhmermanns Text schon für ehrverletzend hält, dann kann sie schwerlich unserem Strafverlangen die Ermächtigung zur Strafverfolgung versagen“. Die Rechnung ging auf.
Fehlerhafter Beschluss?
Es kam, was kommen musste: „Kotau vor einem Despoten“ schallt es aus aller Munde. Mit einer nicht besonders mutigen Begründung erklärte die Bundeskanzlerin, es sei Sache der Staatsanwaltschaften und Gerichte, das letzte Wort zu haben, daher habe sie die Ermächtigung erteilt, obwohl sie § 103 StGB als unzeitgemäß für entbehrlich halte und alsbald abschaffen wolle. Die Erteilung einer Ermächtigung steht im politischen Ermessen der Bundesregierung. Sie darf sogar eine Ermächtigung verweigern, wenn sie ein Verhalten für strafbar hält. Dass die Bundesregierung den Weg zur Strafverfolgung frei gemacht hat, obwohl sie § 103 StGB für unzeitgemäß hält, ist nichts anderes als ihr öffentliches Zeugnis einer ermessensfehlerhaften Entscheidung. Es bleibt schleierhaft, warum die Bundesregierung Erdogan nicht davon überzeugen konnte, dass sein Wunsch nach ihrer Ermächtigung unserer, auf Presse- und Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz bestehenden Öffentlichkeit, ebenso wenig wie dann ein EU-Beitritt der Türkei zu vermitteln sei. Warum konnte sie ihn nicht stattdessen auf den üblichen Weg verweisen: Wie jedem anderen auch, stünde es Erdogan doch frei, einen normalen Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen. Die Staatsanwaltschaften würden sicherlich ermitteln und vielleicht gelangte der Fall sogar vor Gericht. Zivilrechtlich ist dies sogar schon geschehen.
Der Gesamtkontext als einzig zulässiger Maßstab
Ob Jan Böhmermann sich strafbar gemacht hat, ist noch lange nicht ausgemacht. Dessen Gedicht für sich genommen ist zwar lupenreine, unzulässige Schmähkritik. Das gibt sogar Böhmermann selbst zu. Jede Äußerung muss aber in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Wer nur das Gedicht ohne seinen Kontext betrachtet, verkennt das Problem und entscheidet sich vorschnell für eine Strafbarkeit. Böhmermann wollte die Grenzen der Satire aufzeigen. Die Frage ist, ob dieser angesagte Zweck seines Gedichtes diesem die ehrabschneidende Qualität soweit nimmt, dass es als zwar grobschlächtige, aber noch zulässige Meinungsäußerung angesehen werden kann. Schmähkritik wird nicht einfach durch einen vorangestellten Disclaimer entschärft. Grundsätzlich muss es keiner hinnehmen, dass über ihn ohne jeden sachlichen Grund eimerweise Beleidigungen für einen pädagogischen Zweck ausgeschüttet werden. Das Gedicht Böhmermanns hat jedoch eine Vorgeschichte, die an das Verhalten Erdogans im Umgang mit den Medien und an dessen fragwürdiges Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit anknüpft. Wer Journalisten als Terroristen bezeichnet und wenige Tage vor Böhmermanns Sendung den deutschen Botschafter einbestellt, um sich über ein völlig harmloses, satirisches Liedchen der NDR-Sendung „extra 3“ zu beschweren, macht sich angreifbar.
Strafbarkeit des Satirewerks unbegründet
Damit hat der türkische Präsident eine Diskussion über die Presse- und Meinungsfreiheit zum Kochen gebracht, die schon zuvor angesichts des türkischen Vorgehens gegen heimische Journalisten und Medien und sogar gegen postende Schulkinder köchelte. Das gibt Böhmermann sowohl inhaltlich als auch in der Person des türkischen Präsidenten begründet den sachlichen Bezug, der seinen Weg, seinem Publikum die Grenzen zulässiger Satire aufzuzeigen, rechtfertigt. Die Idee schließlich, Böhmermann halte die in seinem Gedicht Erdogan zugeschriebenen paraphilen Neigungen und anatomischen Besonderheiten tatsächlich für bare Münze, ist fernliegend und begründet keine Strafbarkeit. Freilich wäre es ein schönes Schauspiel, verlangte ein mit diesem Fall befasstes Gericht zu Beweiszwecken eine Leibesvisitation Erdogans, um der Frage nach den „Schrumpelklöten“ nachzugehen. Im Ergebnis hat sich der eng auf seine Ehre bedachte türkische Präsident internationalem Gespött preisgeben und die Bundesregierung mit ihrem Tänzchen um die Majestätsbeleidigung jedes Rückgrat missen lassen. Nur Böhmermann kennt inzwischen jeder. Und er ist gestraft genug. Er musste es sich gefallen lassen, ausgerechnet von Bernd Lucke mit seinem albernen Versuch „Was man nicht sagen darf: Böhmermann ist eine feige Drecksau“ Aufmerksamkeit für seine farblose Parteineugründung Alfa zu erheischen, instrumentalisiert zu werden. (pvm) (Kommentar / finanzwelt 03/2016)