Arbeiten die Deutschen zukünftig bis 80?
10.02.2015
Wenn Andrea Nahles sich zu Wort meldet, dann muss nicht Karnevalszeit sein. Bei ihr gibt es immer was zu lachen. Ein Zukunftsforscher lacht nicht, er kritisiert den Fortschrittsbericht der Regierung.
2015-02-11 (fw/db) Einer der bekanntesten Zukunftsforscher Deutschlands, Sven Gábor Jánszky, hält den heute von der Bundesregierung vorgelegten „Fortschrittsbericht 2014 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung“ für illusorisch. Er kritisiert die „falschen Versprechungen“ über die mögliche Lösung des Fachkräfteproblems durch eine erhöhte Zuwanderung und die Karriereförderprogramme für Frauen.
Jánszky und sein Trendforschungsinstitut „2b AHEAD Think Tank“ sagen aufgrund demografischer Umbrüche in den kommenden Jahren eine Ära der Vollbeschäftigung für Deutschland voraus. Doch was positiv klingt, wird möglicherweise zu einer größeren Herausforderung für Deutschland, als es die Massenarbeitslosigkeit der vergangenen Jahrzehnte war.
Bis zu fünf Millionen fehlende Arbeitskräfte
Die Prognose sei eindeutig: Der deutsche Arbeitsmarkt verliert in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen Arbeitskräfte, weil die vielen Babyboomer in Rente gehen und nur die geburtenschwachen Jahrgänge nachrutschen. In der Summe ergibt das über die kommenden Jahre dauerhaft eine nicht zu füllende Lücke an fehlenden Arbeitskräften.
Die optimistischen Studien sagen eine Lücke von zwei Millionen voraus, die Pessimisten gehen von 5,2 Millionen aus. Um es einfach zu sagen: Wir werden erleben, dass bei ordentlich ausgebildeten Mitarbeitern jede Woche zweimal der Headhunter klingelt.
„Das ist für Arbeitnehmer das Paradies. Sie bekommen mehr Macht und mehr Geld. Aber für Unternehmen ist das eine Katastrophe. Ihnen droht das, was wir im vergangenen Jahr schon einmal bei einem Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz gesehen haben. Dort haben über drei Wochen die Spezialisten gefehlt. Was war die Folge? Die Züge fuhren an Mainz vorbei. Das Produkt wurde also nicht produziert. Genau das droht in allen Branchen”, so Jánszky.
Weniger Langzeitangestellte und mehr Projektarbeiter
Der Zukunftsforscher geht davon aus, dass die heute übliche „Anstellung auf Lebenszeit“ auf etwa 30-40% der Gesamtarbeitnehmer zurückgeht. Auf der anderen Seite entstehen etwa 30-40% sogenannte Projektarbeiter. Diese sorgen für einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Denn die lassen sich nicht auf Lebenszeit anstellen, sondern nur für ein Projekt; also für maximal 2-3 Jahre.
Danach wechseln die Projektarbeiter zumeist wieder das Unternehmen. Für die Unternehmen lässt sich die drohende Katastrophe in einem Satz beschreiben: „Wieviel kostet es, aller 3 Jahr jeweils 40% der besten Mitarbeiter in einem leergefegten Arbeitsmarkt bei der Konkurrenz abwerben zu müssen?“
Die entstehende Situation im deutschen Arbeitsmarkt der Jahre 2020 – 2025 und die möglichen Gegenstrategien der Unternehmen haben die Trendforscher schon vor zwei Jahren in ihrem Buch „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ skizziert.
Sie erklären, warum es dann keine Stellenausschreibungen mehr geben wird, warum die besten Mitarbeiter gekündigt werden müssen, wie Employer Branding von der Employee Value Proposition abgelöst wird, wie das Corporate Life funktioniert, warum Personaler zu Datenanalysten werden, wie Senior-Trainee- und Unlearn-Programme entstehen, wie Personaler zu Inhouse-Headhuntern und Personalberater zu 360°-Managern werden, warum Menschen bis 80 arbeiten wollen, wie Career Transition Strategien entstehen, warum Sie betriebseigenen Schulen gründen werden und eigenen Mitarbeiter an die Konkurrenz verleihen, warum der Chief Change Officer den Personalchef ersetzen wird … und welche Strategiewege sich für die Unternehmen in den kommenden zehn Jahren ergeben. Entweder werden sie zu einem „Fluiden Unternehmen“ oder zu einer „Caring Company“.
Die gefährliche Ignoranz von gesellschaftlichen Trends
Die Orientierung des Fortschrittsberichts der Bundesregierung auf Karriereförderprogramme für Frauen und eine verstärkte Zuwanderung, ist in den Augen des Zukunftsforschers von einer „gefährlichen Ignoranz gesellschaftlicher Trends geprägt“.
Die Zahl der auf dem globalen Arbeitsmarkt nach Deutschland Einwanderungswilligen prognostiziert er auf einen Korridor von 400.000 – 900.000 über die kommenden zehn Jahre.
Die durch Frauenförderprogramme erreichbaren Mehrarbeitskräfte beziffert er auf 400.000 – 800.000 in den kommenden zehn Jahren.
„Selbstverständlich muss es diese Programme geben. Auch eine offenere Zuwanderungspolitik ist nötig. Aber wir dürfen uns nicht vormachen, dass wir dadurch imstande wären, unsere Probleme von 6,5 Millionen fehlenden Menschen im Arbeitsmarkt zu lösen“, sagt Jánszky.
Ältere Generation muss bis 75 oder 80 arbeiten
Die einzig realistische Lösung für den deutschen Arbeitsmarkt liegt nach den Worten des Zukunftsforschers in der älteren Generation. Er kritisierte die Politik, die nach seinen Worten die aktuelle politische Diskussion um das gesetzliche Rentenalter mit den Glaubenssätzen der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts führt. In Wahrheit liege die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2025 bei 90 Jahren.
„Wir müssen uns ernsthaft die Frage beantworten, was wir in den 30 Jahren zwischen 60 und 90 tun wollen? 30 Jahre Urlaub? Das ist verdammt langweilig und völlig unbezahlbar. Also werden die Menschen weiter arbeiten wollen. Nach meiner Prognose bis 75 oder 80. Denn Arbeit bringt den meisten von uns Anerkennung und Zugehörigkeit. Darauf wird keiner verzichten wollen“, warnt Zukunftsforscher Jánszky.
Fazit: Erneut eine Klatsche für die Bundesministerin Andrea Nahles – für Arbeit und Soziales. Die Politikerin erscheint in der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) als inkompetent, kann dafür bei der Missachtung der zukünftigen Entwicklung von Arbeitsmarkt und Fachkräften punkten. Die deutschen Unternehmen leiden bereits heute unter der Nahles Idee die besten Mitarbeiter bei voller Rente nach Hause zu schicken. Das Motto „Wenig Soziales bei Nahles“ kann beim Thema „Zukunft im Arbeitsmarkt und Fachkräftemangel“ ergänzt werden „Wenig Reales bei Nahles“.
Dietmar Braun