Anbieter müssen überzeugen
14.04.2016
Angelika Wiedl
In der Bankenwelt war Angelika Wiedl 20 Jahre lang eine erfolgreiche Vermögensberaterin, Wertpapierspezialistin und Geschäftsstellenleiterin. Als sie einzelne Produkte in Frage stellte, bekam sie eine Antwort, die man eher in einem Strukturvertrieb erwartet: „Verkaufen Sie einfach“. Der Schritt in die Selbständigkeit war die logische Konsequenz.
finanzwelt: Der Grund für Ihren Ausstieg bei der Bank war die Tatsache, dass Sie sich mit einzelnen Produkten nicht mehr identifizieren konnten. Damit stehen Sie nicht alleine. Wie würden Sie die Beziehung zu Ihren Kunden beschreiben? Wiedl: Zunächst einmal will ich die Produkte, die ich empfehle, verstehen und mich damit in der Tat identifizieren können, um sie dann meinen Kunden mit ruhigem Gewissen zu empfehlen. Wie Sie schreiben, habe ich exakt dies bei meinem damaligen Arbeitgeber, einer Bank, nicht machen können. Das wollte ich nicht mehr. In der Selbständigkeit bin ich mein eigener Chef. Somit bin ich in der glücklichen Lage, nur die Anlagemöglichkeiten weiterzuempfehlen, von denen ich auch überzeugt bin. Dazu benötigt man in der heutigen Zeit keine Bank mehr. finanzwelt: Haben Sie diesen Schritt jemals bereut? Auf welche Stolperfallen, die man erkennen sollte, würden Sie heute Kolleginnen und Kollegen aufmerksam machen, wenn man als unabhängiger Finanzberater startet? Wiedl: Den Schritt in die Selbständigkeit habe ich nicht bereut. Als Angestellte hat es zwar schon einen gewissen Charme, jeden Monat pünktlich sein Geld auf dem Konto zu haben. Doch wenn man fleißig und ehrlich in dieser Branche unterwegs ist, zahlt es sich auf Dauer aus. Es ist auch wichtig, in schwierigen Situationen nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sondern für die Anleger da zu sein und Gespräche zu führen. Neueinsteiger haben es nach meiner Meinung schwer. Ihnen fehlt es an Menschen, die sie sprichwörtlich an die Hand nehmen. Auch die vielen Regularien vereinfachen den Job nicht gerade. finanzwelt: Die Finanzdienstleistung ist eine „Männerdomäne“. Glauben Sie, dass es ein Vorteil oder Nachteil ist, in diesem Beruf eine Frau zu sein? Wiedl: Ich persönlich arbeite oder behaupte mich sehr gerne in einer Männerdomäne. Es ist für mich stellenweise eine Herausforderung und auch amüsant. Wie sagt man so schön: Man lernt nie aus! Nachdem ich schlagfertig bin und über ein gutes Fachwissen verfüge, kann ich mich durchaus behaupten. Darauf kommt es doch an, oder? finanzwelt: Haben sich aus Ihrer Sicht die Bedingungen verbessert oder verschlechtert? Nützt dies wirklich bei der Qualität der eigentlichen Anlageberatung? Wiedl: Was „neu“ ist muss nicht „besser“ sein. So ist es auch in diesem Bereich. Ich glaube, dass viele Anleger durch Formalismen überfordert werden. Aus meiner Sicht waren die Prospekte, bevor Herr Steinbrück Finanzminister wurde, besser aufgebaut und schlüssiger. Die Anleger konnten sich früher einen guten Eindruck über das Geschäftsfeld, über Chancen und Risiken verschaffen. Heute werden die Chancen im Prospekt nicht mehr aufgeführt – ein totaler Blödsinn! Dann hängt es doch wieder an der Qualität des Beraters, was er seinen Kunden erzählt. finanzwelt: Sie betreuen eine Klientel, für die eine Streuung in Sachwerte – wir kommen gleich noch einmal darauf – absolut sinnvoll erscheint. Darf ich fragen, wie sich Ihr Beratungsprozess aufbaut – vielleicht auch, um Newcomern Anregungen zu geben? Wiedl: Erst einmal ist es mir wichtig, ein strukturiertes, lukratives, sinnvolles Portfolio mit vielen Sicherheitskomponenten anbieten zu können. Die Voraussetzung hierfür ist die intensive Zusammenarbeit mit den Initiatoren. Hier bin ich in der glücklichen Situation, mit tollen, erfahrenen Leuten zusammenarbeiten zu können. Wie anfangs geschildert, müssen mich diese aber auch überzeugen. Und jetzt kommt etwas, was Sie sicher schon oft gehört haben, aber selten gelebt wird. Denn bei mir steht der Kunde mit seinen Wünschen, Vorstellungen und Gegebenheiten wirklich an erster Stelle. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mehrseitige Analysebögen den Kunden in der Regel überfordern. Mir genügt zunächst ein weißes Blatt. Wichtig ist zuerst sein bisheriges Anlageverhalten und was der Kunde von meinen Anlagen und mir erwartet. Erst dann geht es tiefer in die eigentlichen Konzepte. Die Gespräche laufen bei mir nicht nach einem Muster, nein, jeder Kunde hat seine Persönlichkeit und Individualität. Er muss sich wohlfühlen und ein gutes Bauchgefühl haben! Beim Erstgespräch führe ich daher auch keine Abschlussverträge mit. Ich finde, dass Anlegern für eine Entscheidung die Zeit eingeräumt werden sollte, die sie benötigen. finanzwelt: Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, wie Sie an aussagefähige Informationen kommen und wie Sie Ihre Entscheidungen treffen? Wiedl: So wie in anderen Lebensbereichen auch, ist eine gute Menschenkenntnis in der Finanzbranche von Vorteil. Man erkennt sehr schnell, mit wem möchte ich eine Zusammenarbeit, wie steht es um Ehrlichkeit, Plausibilität, Erfahrungen, Vergangenheitshistorie, Sicherheitskomponenten und: Wer ist mein Gegenüber überhaupt? Außerdem ist es mir wichtig, nur die Produkte zu empfehlen, die auch eine echte Wertschöpfung haben. Aus dieser Wertschöpfung heraus muss sich die Rendite für den Anleger darstellen lassen. finanzwelt: Machen wir geistig einen Sprung: Die Entscheidung der EZB, im Milliardenumfang Anleihen aufzukaufen, was eine Niedrigzinsphase weiterhin befeuert, macht eine Flucht in Sachwerte unausweichlich. Würden Sie sich dieser Ansicht anschließen? Wiedl: Die Staatschulden der Euro-Länder sind zwischen 2007 und 2014 von 5,98 Bio. Euro auf 10,1 Bio. Euro nach oben geschossen – also von 66,2 % der Wirtschaftsleistung auf horrende 91,9 %. Wie heißt die Frage in der Metzgerei: Darf es noch etwas mehr sein? Das muss man sich erst einmal verinnerlichen. Wenn man sich dann auch noch die verbrieften Kredite von den Banken ansieht, könnte es einem übel werden. Bei den Asset Backed Securities (ABS) handelt es sich um Kredite, die Finanzinstitute an der Börse verkaufen. finanzwelt: Was ist die Konsequenz? Wiedl: Mit Kreditverbriefungen können Banken ausstehende Forderungen aus Krediten an den Markt bringen und somit Bilanzen entlasten. Dadurch lastet das Risiko eines Zahlungsausfalls seitens der Schuldner nicht mehr alleine auf den Schultern der Banken, sondern wird durch deren Beimischung in Fonds auch auf andere Anleger verteilt, die oftmals nicht wissen, was genau sich an verbrieften Rechten in ihrem Portfolio befindet. Resümee: Banken und Sparkassen verlagern ihr eigenes Risiko auf Privatinvestoren, denn durch die Verbriefungen können sie auf eine relativ einfache und elegante Art Kreditrisiken aus ihren Bilanzen entfernen und damit Eigenkapital freimachen, das ansonsten als untätiges Gegengewicht gebunden bliebe. Zu den Machenschaften der Notenbanker möchte ich ein Zitat von Albert Einstein bemühen: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Um auf die Frage konkret zu antworten: Die Flucht in Sachwerte ist unausweichlich. Aber nicht jeder Sachwert ist eben auch ein guter Sachwert! Es ist unsere Aufgabe als qualifizierte Berater, die im Kundensinne besten zu finden. (jr)