Einheitliches Enforcement-Verfahren als notwendige Konsequenz des Wirecard-Skandals? – Ein Trugschluss

21.02.2022

Foto: © laplateresca - stock.adobe.com

Der Wirecard-Skandal hält die Republik weiterhin in Atem. Im Wochentakt werden neue Ungeheuerlichkeiten über das Ausmaß der Versäumnisse von Wirtschaftsprüfung und Finanzaufsicht offenbart. Noch immer drängt sich die Frage auf: „Hätte die BaFin das nicht verhindern können?“. Denn ebenso dringend waren im Vorfeld die der Behörde bekannten Verdachtsmomente. Die BaFin ist diesen aber nicht entschieden nachgegangen. Nun hat der Gesetzgeber mit dem Finanzmarktintegritätsstabilisierungsgesetz vom Juni 2021 erstmals auch eine gesetzgeberische Reaktion gezeigt. Im Folgenden soll die insoweit normierte Änderung der Bilanzkontrolle (sog. „Enforcement-Verfahren“) in den Blick genommen und im Lichte des Falls „Wirecard“ bewertet werden.

I. Einordnung der Bilanzkontrolle in den Aufgabenkreis der BaFin nach bisherigem Recht Gem. § 6 Abs. 2 S. 1 WpHG (Wertpapierhandelsgesetz) überwacht die BaFin allgemein die Einhaltung der gesetzlichen Verbote und Gebote des WpHG und der Rechtsnormen des Unionsrechts. Daneben gibt es die Bilanzkontrolle nach §§ 106 ff. WpHG. Allgemein muss die BaFin gem. § 6 Abs. 1 S. 1 WpHG Missständen entgegenwirken, welche die ordnungsgemäße Durchführung des Handels mit Finanzinstrumenten beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Finanzmarkt bewirken können. Die Vorschriften gehen auf das BilKoG (Bilanzkontrollgesetz) zurück. Der Gesetzgeber suchte mit diesem Gesetz im Jahre 2004 verlorengegangenes Anlegervertrauen infolge von Bilanzskandalen wie „Enron“ und „Worldcom“ wiederzugewinnen.

II. Allgemeine Pflicht zur Überwachung nach WpHG Nach § 6 Abs. 2 S. 2 WpHG kann die BaFin zur Durchsetzung der Regelungen des WpHG und des Unionsrechts und zur Beseitigung und Verhinderung von Missständen alle geeigneten und erforderlichen Anordnungen treffen. Um beurteilen zu können, ob ein Marktteilnehmer gegen das WpHG oder Unionsrecht verstoßen hat, benötigt die BaFin Informationen. Hierzu stattet die allgemeine Norm des § 6 WpHG die BaFin mit umfangreichen Ermittlungsbefugnissen aus. So kann sie u. a. exemplarisch Auskünfte und Unterlagen verlangen, Zeugen laden und vernehmen, Durchsuchungen durchführen. Sie hat mithin staatliche Kompetenzen, die normalerweise nur den Behörden der Strafverfolgung offenstehen.

III. „Enforcement-Verfahren“ – Bilanzkontrolle nach alter Rechtslage Die BaFin hatte nach vorheriger Gesetzeslage gem. § 106 WpHG auch die Aufgabe, Abschlüsse und Berichte von Wertpapieremittenten auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und bei Verstößen einzugreifen. Im Rahmen der §§ 106 ff. WpHG war die BaFin nach bisheriger Rechtslage nur sekundär („vorbehaltlich“, § 106 WpHG) zuständig. Primär hatte die DPR („Deutsche Prüfstelle Rechnungswesen) die Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Das Verfahren der §§ 106 ff. WpHG war also zweistufig aufgebaut. Dabei muss man wissen, dass die DPR eine privatrechtlich (als e. V.) organisierte Einrichtung ist. Sie hat keinerlei hoheitliche Befugnisse und ist deswegen bei der Überprüfung auf die Kooperation der Unternehmen angewiesen. Wie sollte sie auch ohne die Zwangsmittel des Staates die Durchsetzung des Gesetzes erreichen? Ihre Überprüfung ist daher lediglich ein „Angebot an die Wirtschaft, sich beim Enforcement zu engagieren…“ (so die Begründung des Gesetzesentwurfs).

IV. Neue Rechtslage und Hintergrund

Mit dem Finanzmarktintegritätsstabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber die Bilanzkontrolle – das Enforcement-Verfahren – vereinheitlicht. Die primäre Zuständigkeit der DPR wurde abgeschafft und allein die BaFin für zuständig erklärt. Hintergrund ist, dass die BaFin im Nachgang des Wirecard-Skandals erklärte, ihr seien für Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Verdacht der Bilanzmanipulation durch Wirecard die Hände gebunden gewesen. Die DPR sei zuvorderst zuständig gewesen. Auf diese verwunderliche Rechtfertigung der BaFin hat der Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz reagiert.

weiter auf Seite 2