Werbung und Wirklichkeit beim Münchener Verein

20.04.2022

Philip Wenzel, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK), Biometrie-Experte und Chefredakteur von worksurance.de / Foto: © Philip Wenzel

Für jemanden, der den ganzen Tag Bedingungen liest, die immer alles voll ernst meinen, ist es mitunter schwierig, eine sehr werbliche Pressemitteilung ernst zu nehmen. So wahr das auch, als der Münchener Verein in einer Pressemitteilung tönte, sie würden die „Berufsunfähigkeitsversicherung auf ein neues Level“ bringen.

Der Wenzel in mir fragt da sofort: Wie definiert ihr „Level“? Auf welchem Level war die BUV bisher?

Da ich aber nicht nur im Keller sitze und AVB studiere, weiß ich selbstverständlich, wie das gemeint ist. Die Neuerungen der Deutsche Handwerker BerufsunfähigkeitsVersicherung in den Varianten „Premium“ und „Aktiv“ sind der Oberhammer! An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Produktname Deutsche Handwerker BerufsunfähigkeitsVersicherung mir sehr gut gefällt, weil ich bei meinen Texten eigentlich immer nach Zeichen bezahlt werde.

Dass die Tarife bei mehr als 150 handwerklichen und ebenso vielen nicht-handwerklichen Berufen auf Platz 1 stehen, würde ich gern unkommentiert lassen. Es gibt keine Angaben über die Ausgestaltung der Bewertung, also weiß ich nicht, in welcher Kategorie sie Platz 1 sind. Marketing halt.

Wenn ich mir dann so die Bedingungen ansehe, dann ist da an Neuheiten nix, was mich vom Hocker hauen würde. Es sind schon sinnvolle Verbesserungen, wie z.B. Nachversicherung bis zu 12 Monate nach dem Ereignis, Beitragspause bei vollem Schutz, keine Stundungszinsen und keine Meldepflicht bei gesundheitlicher Verbesserung. Aber die Top 10 der BU-Versicherungen hat das schon. Also kein neues Level.

Eine Sache im Premium-Tarif ist aber schon nextlevel-mäßig. Nämlich ein medizinisch-berufskundlicher Beratungs- und Reintegrationsdienst, der im Leistungsfall unterstütz, wieder gesund zu werden oder umzuschulen. Die Kosten werden für bis zu 6 Monatsrenten, maximal 2.000 Euro übernommen.

Da geht tatsächlich die Reise hin. Das findet sich auch in der Top 10 nicht oft. Gefällt mir sehr gut.

Besser würde mir gefallen, wenn das auch im Aktiv-Tarif möglich wäre. Da wäre das auch sinnvoll. Und am allerbesten wäre, wenn ich auf diese Dienstleistung auch schon vor dem Leistungsfall zugreifen dürfte. Kleiner Anreiz für den Versicherer: Das kostet zwar, kann aber einen Leistungsfall vermeiden helfen!

Apropos Aktiv-Tarif:

Als ich dann die AVB nach Neuerungen durchsucht habe, ist mir aufgefallen, dass der Münchener Verein die BU-Versicherung ja schon längst auf ein neues Level gehoben hat. Nur weiß das keiner oder will das vielleicht auch keiner hören.

Denn die Aktiv-Variante leistet schlechter als eine gewöhnliche BU-Versicherung. Sie leistet nur 50 % der versicherten Rente, wenn ich zu mehr als der Hälfte aus psychischen oder organischen Gründen zu mindestens 75 % berufsunfähig werde. 100 % Leistung gibt es nur bei Unfällen oder Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungsapparats.

Das ist ziemlich leicht kacke zu finden. Aber genau betrachtet, ist es genau das, was wir alle brauchen! Eine günstige Alternative für die, die sich die Vollausstattung nicht leisten können oder wollen.

Und wenn ich mal an den selbständigen Handwerker denke, der eh von sich behauptet, er würde noch mit dem Kopf unterm Arm in die Arbeit kommen, dann wäre hier die 75 %-Hürde nicht das Problem.

Die Hälfte bei psychischen und organischen Erkrankungen ist auch für mich schwierig, aber ich denke, ich kann es auch verstehen. Ich würde dann in jungen Jahren, solange ich mich unverwundbar fühle, die Aktiv-Variante wählen und dann vor dem 40. Lebensjahr, was möglich ist, in die Premium-Variante wechseln.

Wie schon geschrieben: Es fällt leicht, dass alles schlecht zu finden. Aber es ist eine gute Möglichkeit, um einen jungen Handwerker, der noch nicht viel verdient, passend abzusichern. Die Alternativen wären Erwerbsunfähigkeits- oder Grundfähigkeits-Versicherungen.

Unterm Strich kann ich dann doch nicht so viel meckern, wie ich anfangs dachte. Es sind aber nicht die Verbesserungen, die für mich einen neuen Weg in der Arbeitskraftabsicherung einschlagen, sondern die schon bekannte Variante, die aber bis heute im Vermittlermarkt nicht so richtig angekommen ist, weil ich als Vermittler halt die beste BU-Versicherung im Fokus habe und nicht die beste Lösung für den Kunden.

Darüber sollten wir mal nachdenken.

Ein Kommentar von Philip Wenzel, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK), Biometrie-Experte und Chefredakteur von worksurance.de