„Visa im Blut – Willkommen im Zeitalter des Mikroplastik!“
09.10.2024
Dr. Marlene Waske, Ethik-Analystin Arete / Foto: © Ethik Invest AG
Wir nehmen Mikroplastik im Äquivalent einer Kreditkarte auf. Pro Woche! Das kann nicht gesund sein – nicht für uns Menschen, nicht für unsere Ökosysteme. Vielleicht einer der Gründe, bei Investments dem Geld eine bewusste Richtung zu geben.
Prolog, der nachdenklich macht …
Ein Reporter fragte ein Ehepaar, wie sie es geschafft hatten, 65 Jahre lang verheiratet zu bleiben. Die Frau antwortete: „Wir wurden in einer Zeit geboren, in der wir Dinge, die kaputt gegangen waren, reparierten, anstatt sie wegzuwerfen.“ Der Siegeszug des Plastiks erscheint heute wie der Anfang vom Ende dieser Zeit. Die allgegenwärtige Plastikverschmutzung ist eine direkte Konsequenz linearer Produktions- und Konsummuster. Wir kaufen, um wegzuwerfen.
Geschichte eines Materials
Plastik – genauer gesagt eine Gruppe verschiedener Polymere auf Erdölbasis – hat Materialeigenschaften, die durchweg positiv sind. Es ist widerstandsfähig, unbegrenzt formbar, leicht und vor allem sehr, sehr billig! Seit Beginn der Massenproduktion von Kunststoffen hat die Menschheit insgesamt 8 Milliarden Tonnen Plastik produziert. Die globale Jahresproduktion stieg von rund 2 Millionen Tonnen im Jahr 1950 bis auf 400 Millionen Tonnen im Jahr 2015. Mehr als die Hälfte allen Plastiks weltweit ist erst in den letzten 20 Jahren entstanden. Damit hat das extreme Wachstum der Plastikproduktion in den letzten 65 Jahren nahezu jedes andere menschengemachte Material überflügelt. Ausnahmen sind nur Stahl und Zement.
Was ist das Problem?
Während Stahl und Zement meist verbaut werden und so oft Jahrzehnte in Gebrauch bleiben, sind Plastikprodukte extrem kurzlebig – auch weil ein Großteil davon für Verpackungen verwendet wird. Allein die Deutschen produzierten im Jahr 2019 etwa 39 Kilogramm Plastikabfall pro Kopf! Und dabei sind sie drittgrößter Plastikexporteur weltweit. Doch unser Müllproblem können wir nicht einfach exportieren und dann vergessen. Mikroplastik kann durch Winde bis zu 3.500 Kilometer weit verweht werden – das entspricht in etwa der Strecke von Mali nach Deutschland, oder von Deutschland nach Spitzbergen.
Zwei Drittel sind Müll
Zwei Drittel allen jemals hergestellten Plastiks gammeln heute als Müll auf Deponien oder verschmutzen Umwelt und Meere. Der große pazifische Müllstrudel, in dem sich vor allem Plastikmüll sammelt, hat mittlerweile eine Fläche, die dem 4,5-fachen der Bundesrepublik entspricht. Wir leben in einem unkontrollierten Experiment globalen Maßstabs. Doch es sind nicht nur die Plastikcontainer, Tüten und Reifen, die man vielleicht irgendwie automatisiert aus dem Meer fischen könnte. Plastik wird nicht in der Umwelt abgebaut – es zerfällt in immer kleinere Teilchen. In Mikroplastik, also in Teilchen, die kleiner als 5 Millimeter sind, und schließlich in Nanoplastik. Diese Teilchen sind kleiner als 1 Mikrometer – zum Vergleich: ein durchschnittliches menschliches Kopfhaar ist 0,05 mm dick – also 50 Mikrometer!
Warum ist das Problem eine Bedrohung?
Mikroplastik findet sich im Boden, im Wasser, in der Wüste, im ewigen Eis. Über unsere Nahrung gelangt es in unseren Körper, in unser Blut. Es gehört da nicht hin – nicht in die Umwelt und erst recht nicht in den menschlichen Körper. Nanoplastik ist so klein, dass es von Zellen aufgenommen werden kann und dabei wirkt es wie ein Magnet für krebsauslösende Stoffe. Wir können die Konsequenzen einer derartigen Kontamination noch nicht abschätzen, aber es gibt Hinweise, dass gesundheitliche Konsequenzen für Pflanzen, Tiere und Menschen drohen. Darüber hinaus ist die Herstellung von Plastik global für etwa 10 % des weltweiten Verbrauchs von fossiler Energie verantwortlich und damit ein nicht zu unterschätzender Faktor im Kampf gegen den Klimawandel.