"Poker ist Glücksspiel...

26.04.2016

Auf dem Foto v.l.n.r.: Jane Uhlig

…und das ist schlicht nicht unser Geschäft", erklärt Jürgen Fitschen im Interview mit Jane Uhlig und Kai Anderson. Dabei steht Vertrauensaufbau ständig auf der Tagesordnung. Aber auch Aufklärung ist ein großes Problem. Der normale Bürger versteht oft nicht, wie Banken agieren.

(fw/rm) Jürgen Fitschen, ehemaliger Vorstand Deutsche Bank AG, im Gespräch mit den Buchautoren Kai Anderson und Jane Uhlig für "Das agile Unternehmen - Wie Organisationen sich neu erfinden" (Campus Verlag).

Interview:

Uhlig: Ihr Lebenslauf ist old school – das meine ich positiv. Sie sind in einem Dorf aufgewachsen, haben eine klassische Ausbildung absolviert, sind dann für einige Jahre zur Citibank gegangen, anschließend waren Sie viele Jahre bei der Deutschen Bank tätig. Diese Kontinuität erlebt man ja heutzutage bei Managern eher selten. Was waren die entscheidenden Veränderungen für Sie? Fitschen: Das war sicherlich in frühen Jahren der Wechsel von der kleinen Dorfschule aufs Gymnasium. Ebenso später der Wechsel in die große Stadt Hamburg zur Lehre und anschließend zur Universität. Dies alles hat sich natürlich sehr stark ausgewirkt auf die Art und Weise, wie ich Dinge empfunden und gedacht habe. Das heißt, mit vielen Veränderungen ist immer wieder ein neuer Anstoß gekommen, der meine Sicht auf die Dinge neu beeinflusst und neue Horizonte eröffnet hat. Womöglich liegt hier die Wurzel für meine spätere Entscheidung, beruflich nach Asien zu gehen. Ich war in Thailand, als dieses Land die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit war; durchschnittlich 14 Prozent im Jahr. Zu erleben, wenn plötzlich wirtschaftlich alles möglich ist, ist eine besondere Erfahrung. Und drei Jahre später in Japan erlebte ich das Gegenteil. Die Blase platzte. Und die Gesellschaft war, weil wir vom Wandel sprechen, nicht in der Lage, damit angemessen umzugehen. Und das bis heute. 20 Jahre später stellen wir immer noch fest, dass ein Wandel dort nicht vollständig stattgefunden hat, wie es in anderen Gesellschaften zur gleichen Zeit möglich war. Insofern profitiere ich von diesen sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Veränderungen haben mein Weltbild nachhaltig geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar. Man wird sehr viel toleranter, hat mehr Verständnis für die Sichtweisen Anderer. Und ich denke, das ist mir auch später in der Führungsaufgabe in Deutschland zugutegekommen. Uhlig: War der Wandel etwas Bedrohliches für Sie? Fitschen: Im Gegenteil. Steter Wandel ist ein vertrauter Teil meines Lebens. Wenn ich auf meine Berufsjahre zurückblicke, dann relativiert sich im Nachhinein so mancher Erfolg oder Nicht-Erfolg. Für mich gibt es heute auch keine „schwarz-weiß“ Sichtweisen mehr. Meine Erfahrung mit Veränderungen hat mich gelehrt, dass die Medaille immer zwei Seiten hat - mindestens. Wandel ist für mich also etwas ganz Natürliches. Er war nie bedrohlich für mich. Uhlig: Kann Karriere im Zuge ständiger Veränderungsprozesse überhaupt geplant werden? Fitschen: Ich wurde oft von jüngeren Mitarbeitern gefragt, ob man denn angesichts aller Veränderungen und Unsicherheiten überhaupt noch seinen Berufsweg planen soll? Mein Rat: Wir können nicht alles im Voraus planen. Man sollte sich manchmal auch der Situation stellen und dann aus der Situation heraus entscheiden und das Beste daraus machen. Ich glaube nicht, dass es generell möglich ist, auf viele Jahre im Voraus genau festzulegen, wie die Dinge sich entwickeln werden. Uhlig: Meinen Sie, die Unsicherheit in unserer Gesellschaft wächst? Fitschen: Das befürchte ich. Gerade in den letzten Wochen und Monaten konnten wir eindrucksvoll beobachten, wie sich die Dinge in unserer Welt verändern – nicht immer zum Guten. Wer hätte vor ein paar Monaten noch gedacht, dass man deutschen Politikern in Griechenland so feindselig begegnet? Alle Stereotypen sind hier wieder hochgekommen. Und auch nicht wenige Deutsche scheinen zu glauben, die Griechen seien faul und würden auf Kosten anderer leben. Umgekehrt legt man den Griechen in den Mund, wir, die Deutschen, würden sie gängeln und wirtschaftlich ausnutzen. Das ist schon erstaunlich. Bis vor kurzem war das Verhältnis zwischen beiden Ländern intakt, geprägt von Freundschaft und engen wirtschaftlichen Beziehungen. Oder schauen Sie sich die Situation in der Ukraine und das Verhalten in Russland an. Das ist wenig ermutigend. Und zeigt ebenfalls, wie stark die Welt Veränderungen und Unsicherheiten ausgesetzt ist. Das wird künftig eher zunehmen als abnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen. Uhlig: Und wenn Sie die Perspektive aus der Bank heraus betrachten? Fitschen: Hier beschäftigen mich vor allem zwei Dinge: einmal die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt, weil sie das gesellschaftliche Miteinander dramatisch verändern wird. Wir Bürger sind hier im Übrigen sehr inkonsequent. Alle scheinen gerne ihre privaten Daten preis zu geben und loben gleichzeitig die Errungenschaften des freien Internets. Dies birgt durchaus Gefahren. Die Menschen merken oftmals gar nicht mehr, dass sie auch einen Preis zahlen, und zwar nicht im monetären Sinne. Sie zahlen sozusagen mit ihrer eigenen Information, die andere dann wirtschaftlich ausnutzen können. Das führt mich zum zweiten Punkt – der Ökonomisierung des Privaten. Auch das verändert die Art und Weise unseres Zusammenlebens fundamental. Uhlig: Können Sie Beispiele für die Ökonomisierung des Privaten nennen? Fitschen: Es betrifft verschiedene Lebensbereiche, wie beispielsweise Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Altersvorsorge, kulturelle Aktivitäten oder die Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen. Dabei scheint es mir in Zeiten zunehmender Digitalisierung für eine wachsende Zahl von Menschen problematischer zu werden, zwischen den Begriffen „ohne Nutzen“ und „nutzlos“ zu unterscheiden. Lesen Sie weiter auf Seite 2