Europas Weg aus der russischen Energieabhängigkeit
09.11.2022
Jordy Hermanns, Portfolio Manager bei Aegon Asset Management / Foto: © Aegon
Die Folge: extreme Energiepreisvolatilität - Nachfragerückgang
Die Vergeltungsmaßnahmen Russlands gegen die von den USA und Europa verhängten Wirtschaftssanktionen haben die europäischen Erdgaspreise in die Höhe schnellen lassen. Analysten schätzten Anfang des Jahres, dass eine vollständige Unterbrechung der russischen Gasimporte eine Nachfragereduzierung erfordern würde, um den Markt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und wiesen darauf hin, dass dies bei einem Preisniveau von 228 EUR/MWh oder darüber geschehen würde.
Die nachstehende Abbildung zeigt, dass der Markt die Unterbrechung der russischen Gasimporte nach Europa kurzfristig bereits vollständig eingepreist hat.
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Quelle: Aegon Asset Management, Bloomberg. Der niederländische TTF-Erdgasindex (TTFG1MON) wird häufig als Benchmark für die Erdgaspreise in der EU verwendet, Stand: August 2022.[/caption]
Wenn der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine anhält, werden die Gaspreise wahrscheinlich erhöht bleiben, um das Risiko einer möglichen Reduzierung der russischen Gaslieferungen einzupreisen. Da die Logistik hinter der Lieferkette für Erdgas nicht sehr flexibel ist, ist die Marktdynamik stärker lokal begrenzt als auf anderen Brennstoffmärkten, z. B. dem Ölmarkt. Dies zeigt sich deutlich in regionalen Preisunterschieden. Die US-Erdgaspreise, die am Henry Hub gehandelt werden, sind etwa 10 mal billiger als ihr europäisches Pendant.
Negative wirtschaftliche Auswirkungen
Selbst bei ausreichender Gasversorgung gehen wir in unserem Basisszenario von einer leichten Rezession in der Eurozone aus. Die Gaspreise sind sehr hoch und werden voraussichtlich auch in den kommenden Monaten hoch bleiben. Dies hat mehrere negative wirtschaftliche Auswirkungen. Die Kaufkraft der Verbraucher wird durch die hohen Energierechnungen geschwächt. In den vergangenen Monaten konnten die Verbraucher die Ausgaben durch Ersparnisse decken, aber das ist jetzt nicht mehr möglich. Die Regierungen versuchen, die Kaufkraft auf verschiedene Weise wiederherzustellen, durch Preisobergrenzen, Subventionen und niedrigere Steuern, aber das reicht nicht aus. Insgesamt sind die Verbraucher davon betroffen und werden wahrscheinlich ihren Konsum einschränken. Dies hat negative wirtschaftliche Auswirkungen in der zweiten Jahreshälfte 2022 und Anfang 2023.
Sollte es im Winter tatsächlich zu einer Gasknappheit kommen - was in unserem Basisszenario nicht der Fall ist -, werden die Industrieunternehmen ihre Produktion drosseln oder ganz einstellen müssen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Wirtschaft der Eurozone in eine tiefe Rezession geraten würde.
Ein neues Gleichgewicht
Langfristig wird sich der Trend zu einem geringeren Verbrauch und einer sinkenden Nachfrage nach fossilen Brennstoffen beschleunigen, da erneuerbare Energien zu einer kostengünstigen Energiequelle geworden sind, insbesondere im Vergleich zu den aktuellen Energiepreisen. Allerdings sind die Investitionen und der Umfang der Umstellung sehr groß, und die fossilen Brennstoffe werden weiterhin den Grenzpreis für die Energiesysteme bestimmen.
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat eindeutige Auswirkungen auf die europäischen Pläne zur Energiewende, wie die Zusage Europas zeigt, seine Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen zu verringern. Dies geschieht durch Investitionen in erneuerbare Energien, Kohlekraft und die Verlängerung der Lebensdauer von Kernkraftwerken. Der Teil der Anpassung, der auf Gas entfällt, muss jedoch durch eine geringere Nachfrage erreicht werden, da es derzeit keine ausreichenden Alternativen gibt. Da davon auszugehen ist, dass Russland Europa als Gasexportziel verlieren wird, besteht seine beste Finanzstrategie darin, die europäischen Gasmärkte sehr angespannt zu halten, um in den kommenden Jahren so viele Einnahmen wie möglich zu erzielen. Wir gehen daher davon aus, dass die Gasströme aus Russland in den kommenden Jahren niedrig und volatil bleiben werden.
Kurzfristig ist Europa trotz des Anstiegs der LNG-Importe immer noch mit einem potenziellen Ausfall der Erdgasversorgung konfrontiert, falls die russischen Importe ausbleiben sollten. Infolgedessen stiegen die Energiepreise in Europa exponentiell an, um die notwendige Reduzierung der Nachfrage zur Anpassung an das Angebot einzupreisen. Dies ist mit sehr hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden, die zu einem erheblichen Rückgang der Verbraucherausgaben und der Unternehmensgewinne führen.
Langfristig erwarten wir, dass die Gaspreise auf ein niedrigeres Gleichgewicht zurückgehen werden, wenn mehr LNG-Kapazitäten zur Verfügung stehen und die Auswirkungen der Energiewende deutlicher werden. Die Energiewende wird das Marktgleichgewicht auf dem Weg zu einem neuen nachhaltigen Gleichgewicht der globalen Energieversorgung ständig verschieben.
Gastbeitrag von Jordy Hermanns Portfolio Manager, Aegon Asset Management