„Zwischen Egoismus und Exzellenz“
11.11.2024
Buchcover „Zwischen Egoismus und Exzellenz“ und Autor Dr. Ramzi Fatfouta / Foto: © Haufe Verlag
finanzwelt: Beim Narzissmus gibt es ja graduelle Unterschiede. Wo liegen die Gefahren eines pathologischen und die Chancen einer „gesunden“ Portion Narzissmus?
Fatfouta: Menschen mit pathologischem Narzissmus haben oft Schwierigkeiten, konstruktiv mit anderen zusammenzuarbeiten, da ihr Anerkennungsbedürfnis, ihr fragiles Selbstbild und ihre hohe Kränkbarkeit zu Konflikten führen. Auch neigen sie dazu, eigene Interessen rücksichtslos durchzusetzen, was zu Misstrauen und Unbeständigkeit im sozialen oder beruflichen Umfeld führen kann.
Ein durchschnittlich ausgeprägter Narzissmus hingegen kann im Beziehungsaufbau durchaus von Vorteil sein. Narzisstische Personen sind häufig extrovertiert und sehr sozial versiert, was sie beim ersten Kennenlernen oft charmant wirken lässt. Sie können schnell Kontakte knüpfen, die für viele anfangs aufregend und interessant erscheinen – schließlich kann es anziehend sein, mit einer buntschillernden Persönlichkeit seine Zeit zu verbringen.
finanzwelt: Narzissmus ist auch im Berufsleben weit verbreitet, vor allem unter Führungskräften. Woran zeigt sich das besonders? Was empfehlen Sie Mitarbeitern für den richtigen Umgang mit narzisstischen Chefs?
Fatfouta: Narzisstische Führungskräfte sind oft charismatisch, durchsetzungsstark und wirken zunächst inspirierend, wodurch sie leicht andere für sich gewinnen können. Gleichzeitig neigen sie jedoch dazu, impulsiv zu agieren, Fehlentscheidungen zu leugnen und die Leistungen anderer abzuwerten, um ihre eigene Überlegenheit zu betonen. Dieses Verhalten kann zu einer belastenden Arbeitsatmosphäre führen und die Motivation sowie Bindung der Mitarbeitenden einschränken – Absentismus und Fluktuation sind häufig die Folge.
Für den Umgang mit narzisstischen Führungskräften empfehle ich, je nach Schweregrad und eigenem Belastungserleben, klares Grenzen setzen und das Wahren einer professionellen Distanz. Es hilft, die eigenen Erfolge sachlich und gezielt zu dokumentieren, ohne sich von der Bewertung der Führungskraft abhängig zu machen. Eine direkte Kommunikation und die Möglichkeit, sich Unterstützung zu suchen, sind ebenfalls wichtig, um die eigene mentale Gesundheit zu schützen. Falls das Führungsverhalten die Zusammenarbeit zu stark beeinträchtigt, kann es zudem hilfreich sein, Unterstützung durch die Personalabteilung oder eine neutrale Instanz zu suchen.
finanzwelt: Was zeichnet narzisstische Mitarbeiter aus? Wie geht man am besten mit diesen Menschen um – sei es als Kollege oder als Vorgesetzter?
Fatfouta: Was für narzisstische Führungskräfte gilt, findet man oft auch bei Mitarbeitenden – allerdings in einem anderen Rahmen: Während Führungskräfte ihre Position nutzen, um Kontrolle auszuüben und im großen Maßstab Anerkennung zu erhalten, zeigt sich narzisstisches Verhalten bei Mitarbeitenden eher auf kollegialer Ebene im Team. Sie streben ebenfalls nach Anerkennung, präsentieren sich als besonders leistungsstark oder erscheinen oft kompetitiv. Kooperation und Teamgeist sind bei ihnen eher schwach ausgeprägt, was die Zusammenarbeit belasten kann.
Als Kollege ist es am besten, professionell und „neutral“ zu bleiben und sich nicht auf Konkurrenzspielchen einzulassen. Wichtig ist, eigene Erfolge und Beiträge klar zu kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Für Führungskräfte ist es hilfreich, klare Leistungsziele und Strukturen vorzugeben, die objektiv messbar sind. So können narzisstische Mitarbeitende gezielt gefördert und gleichzeitig in ihrem Verhalten begrenzt werden. Auch regelmäßiges, konstruktives Feedback im 1:1 (nicht vor anderen) helfen, die Zusammenarbeit auf eine produktive Basis zu stellen.
finanzwelt: Ist Narzissmus heilbar?
Fatfouta: Wenn wir beginnen, Narzissmus nicht (nur) als Krankheit, sondern als Persönlichkeitseigenschaft zu begreifen, ist er Teil eines stabilen Selbstbildes und muss daher nicht „geheilt“ werden. Dieses Umdenken ist wichtig, denn Studien zeigen, dass lediglich etwa 1-6 % der Bevölkerung die Kriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung erfüllen, während die meisten Menschen – etwa 68% – durchschnittlich narzisstische Tendenzen aufweisen, ohne unter einer pathologischen Ausprägung zu leiden.
finanzwelt: Was ist abschließend Ihr wichtigster Rat an Menschen, die im Arbeitsumfeld mit Narzissten zu tun haben?
Fatfouta: Arbeit mit Narzissten ist immer auch Arbeit mit dem eigenen Selbst. Aus meiner persönlichen Erfahrung fokussieren die meisten Menschen auf das Verhalten der „anderen Person“. Nur selten wird der Spiegel auf das eigene Ich gerichtet und genau hier bedarf es eines Perspektivwechsels: Narzissmus kann nur gedeihen, weil wir – bewusst oder unbewusst – eine Bühne dafür bieten und durch unser eigenes Verhalten einen Beitrag leisten. Ein selbstkritischer Umgang mit narzisstischen Dynamiken hilft, sich nicht in endlosen Machtspielen oder Konflikten zu verstricken. (mho)