SI-Labels: Herdenverhalten ist nicht zwangsläufig im besten Interesse von Investoren

13.04.2023

Rachel Whittaker, Head of SI Research bei Robeco / Foto: © Robeco

Welcher Asset Manager würde ein Nachhaltigkeits-Label ausschlagen? Vor diesem Dilemma stehen viele Investoren, während sich das Wachstum von Sustainable Investing (SI) in immer mehr nachhaltigen Gütesiegeln (Labels) und Initiativen spiegelt. „Viele Investoren fürchten, dass der Verzicht auf eine Mitgliedschaft sie schlecht aussehen lassen könnte. Das sorgt für eine Art selbstauferlegtes Greenwashing“, so Rachel Whittaker, Head of SI Research bei Robeco. Ein Kommentar zu den Herausforderungen für Asset Manager und Investoren.

Rotterdam, 13. April 2023 – Im Finanzsektor gibt es eine Vielzahl nachhaltiger Labels: Dutzende SI-Kooperationen, Mitgliedsverbände, Initiativen und Produkt-Labels, mit denen ein Investor scheinbar seine Seriosität oder seinen Erfolg in punkto Nachhaltigkeit belegen kann. Ein solches Label zu besitzen, ist wie eine Auszeichnung, auf die kaum jemand verzichten möchte.

Allerdings ist nicht klar, ob man alle davon haben muss und ob sie überhaupt für das stehen, was sie vorgeben. Mittlerweile besteht folgendes Problem: Viele Investoren fürchten, dass der Verzicht auf eine Mitgliedschaft sie schlecht aussehen lässt. Das sorgt für eine Art selbstauferlegtes Greenwashing.

Nehmen wir beispielsweise die UN Principles for Responsible Investment (PRI). Dabei handelt es sich um die Mutter vieler SI-Initiativen, mit dem Sustainable Investing auf globaler Ebene Fahrt aufnahm. Die Bedeutung der Initiative war so groß, dass sie sich rasch von einer freiwilligen Verpflichtung – was sie nach wie vor ist – zu einer De facto-Verpflichtung entwickelt hat.

Nach der Gründung im Jahr 2006 wurden die PRI rasch zur führenden Initiative für verantwortungsbewusste Investoren. Unterzeichner der PRI zu sein, das erwarten mittlerweile viele Kunden von einem Asset Manager für SRI-Fonds. Einige Jahre nach ihrer Gründung wurde die PRI-Initiative kritisiert, von ihren Unterzeichnern zu wenig Pflichtanforderungen zu verlangen und zu wenig Durchsetzungsmöglichkeiten zu haben. Daraufhin wurden die Reporting-Anforderungen verschärft und einige Unterzeichner ausgeschlossen.

Je früher, desto besser

Die Initiative erfüllte ihre Aufgabe – zumindest anfänglich. Eine im Jahr 2021 im Journal of Business Ethics veröffentlichte Studie ergab, dass Unterzeichner der PRI anschließend tatsächlich häufiger eine ESG-Integration vornahmen als andere Unternehmen. Allerdings war die Verbesserung des ESG-Profils bei frühen Unterzeichnern wesentlich größer als bei Unterzeichnern aus jüngerer Zeit. Das deutet darauf hin, dass einige der späteren Unterzeichner Trittbrettfahrer gewesen sein könnten. Dieselbe Kritik wurde auf Grundlage einzelner Fälle auch mit Blick auf andere Initiativen geäußert, die eine beträchtliche Dynamik entwickelt haben, beispielsweise Climate Action 100+.

In der Studie wurden zudem Empfehlungen für Manager „freiwilliger“ thematischer Initiativen formuliert, die sich ebenfalls zur Evaluierung der Glaubwürdigkeit von Verpflichtungen eignen, die Unternehmen aus jeder Branche eingehen. Investoren können folgende Faktoren betrachten: Wann erfolgte die Unterzeichnung der Verpflichtung?

Welche Elemente sind bindend? Wie umfangreich ist die öffentliche Berichterstattung zu Fortschritten? Gibt es einen Bestätigungsprozess und entsprechen die Verpflichtungen den verfügbaren Ressourcen?

Relevanz sicherstellen

Ein anderes Thema für Investoren ist, sicherzustellen, dass die verwendeten Labels noch relevant sind. In Europa gibt es eine Fülle von Codes, Initiativen und halbregulatorischen Institutionen. Zu den wichtigsten zählen Eurosif Transparency Code, Febelfin QS, Greenfin, Nordic Swan, LuxFlag und FNG. Die von ihnen verwendeten Kriterien spiegeln unter Umständen Ansichten aus der Zeit ihrer Gründung wider. Allerdings entwickeln sich die Prioritäten von Investoren im Zeitverlauf entsprechend dem Wandel des Konsenses oder sozialer Normen weiter. Organisationen, die Labels vergeben, stehen somit selbst vor einem Dilemma: Sollen sie an ihren ursprünglichen Grundsätzen festhalten oder sich dem Wandel der Zeit anpassen?

Deshalb muss jeder Investor, der sich auf ein bestimmtes Label verlässt anstatt auf eine eigene sorgfältige Prüfung, dafür einstehen, dass dieses Siegel nach wie vor im Einklang mit seinen Überzeugungen und Bedürfnissen steht. Darüber hinaus muss er gewährleisten, dass das Label den Beurteilungskriterien, Methodiken und Verlässlichkeitsanforderungen entspricht – und sollte dies auch im Zeitverlauf überwachen für den Fall, dass sich diese Faktoren ändern.

Ausreichende Zahl an Fonds erforderlich

Zudem ist sicherzustellen, dass es genügend Fonds mit dem Label gibt, um darunter eine Auswahl treffen zu können. Die meisten SI-Labels werden freiwillig vergeben. Deshalb ist es nicht zwangsläufig der Fall, dass ein Fonds ohne ein bestimmtes Label die dafür erforderlichen Kriterien nicht erfüllt. Verlassen Investoren sich auf bestimmte Labels, die ein bestimmter Fonds besitzen muss, verringern sie damit unter Umständen ihre Fondsauswahl.

Für einen Asset Manager ist der Erhalt eines Labels eine wirtschaftliche und geschäftspolitische Entscheidung, die oft schwierig sein kann. Die möglichen Vorteile im Hinblick auf Reputation und Marketing sind abzuwägen mit den häufig beträchtlichen Kosten für die Informationsbeschaffung, die Beantragung und den Prüfungsprozess (oftmals jährlich) sowie den Gebühren für die das Label vergebende Organisation. Zwar scheinen mehr Auszeichnungen eine gute Sache zu sein. Doch sie können die Verwaltungskosten eines Fonds erhöhen, so dass sie nicht zwangsläufig im besten Interesse aller Investoren sind.