Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung (PKV)
02.10.2024
Rechtsanwalt Jens Reichow. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Begriff der medizinischen Notwendigkeit
Die medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Die ärztliche Verordnung einer Methode führt damit noch nicht zwangsläufig zu ihrer medizinischen Notwendigkeit. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten der Medizin sowie der Unsicherheiten der Diagnostik können mehrere Behandlungsmethoden als medizinisch vertretbar erscheinen. Der dem Versicherungsnehmer erkennbare Zweck des Versicherungsvertrages wäre nicht erreicht, wenn nicht alle aus ärztlicher Sicht vertretbaren Behandlungsmethoden und Behandlungsschritte abgedeckt wären.
Demnach ist eine Heilbehandlung als medizinisch notwendig einzustufen, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Die Beweislast für die medizinische Notwendigkeit der Behandlung trägt der Versicherungsnehmer.
Eignung der Behandlungsmethode
Die medizinische Notwendigkeit setzt die Eignung der Behandlungsmethode voraus. Von der generellen Eignung einer Methode ist jedenfalls dann auszugehen, wenn sie von Ärzten allgemein als wirksam anerkannt ist (siehe hierzu LG Darmstadt: Kostenerstattung für eine Invisalign-Behandlung). Im Einzelfall kann die Heilbehandlung auch über das medizinisch notwendige Maß hinausgehen. Die Leistungspflicht des Versicherers entfällt dann nicht vollständig. Eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung erfolgt dann jedoch nur in Höhe der Kosten einer medizinisch notwendigen Behandlung (siehe hierzu BGH: Die Überversorgung/Übermaßregelung in der PKV).
Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung bei der Anwendung alternativmedizinischer Behandlungsmethoden
Die private Krankenversicherung schuldet eine Kostenerstattung nicht nur für schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmethoden. Der Versicherer hat vielmehr auch für alternativmedizinische Behandlungsmethoden zu leisten, sofern diese sich in der Praxis als ebenso erfolgsversprechend bewährt haben oder keine schulmedizinische Behandlung zur Verfügung steht. Dies können sowohl Behandlungsmethoden als auch neue Arzneimittel oder innovative Diagnoseverfahren sein (siehe hierzu OLG Frankfurt: Kostenerstattung für eine orthomolekulare Therapie).
Der Begriff der medizinischen Heilbehandlung ist nicht mit einer Beschränkung auf wissenschaftlich allgemein anerkannte Heilmethoden verbunden. Neuartige Methoden darf der Versicherer nicht mit der Begründung ablehnen, dass ihr Nutzen nicht durch Langzeiterfahrungen erwiesen sei. Eine wissenschaftlich fundierte Studienlage ist keine Voraussetzung der Erstattungsfähigkeit (siehe hierzu LG Nürnberg-Fürth: Medizinische Notwendigkeit einer HIFU-Behandlung). Dies gilt auch, wenn sich die Methode im Nachhinein als ungeeignet erweist, wenn sie im Zeitpunkt ihrer Anwendung vertretbar war (siehe hierzu OLG Frankfurt: Kostenerstattung bei einer dendritischen Zellbehandlung). Insbesondere bei Erkrankungen, bei denen wissenschaftlich anerkannte Standardmethoden nicht zur Verfügung stehen, dürfen an das Vertretbarkeitsurteil keine erhöhten Anforderungen gestellt werden (siehe hierzu OLG Celle: Erstattung der Heilbehandlungskosten bei einem Zungenkarzinom).
Steht jedoch eine etablierte Behandlungsmethode zur Verfügung, so ist eine andere, nicht hinreichend erforschte Methode nur dann medizinisch notwendig, wenn sie gegenüber der Standardmethode Vorteile bietet, die das zusätzliche Risiko der fehlenden Erprobung kompensieren (siehe hierzu OLG München: Medizinische Notwendigkeit von Keramikimplantaten).
Mehrere zur Verfügung stehende Methoden
Stehen mehrere Methoden zur Verfügung, so ist die Auswahl eine Frage der medizinischen Vertretbarkeit. Es besteht kein Grundsatz, dass eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung nur bzgl. der kostengünstigere Behandlung verlangt werden kann. Die gesetzliche Regelung stellt auf die medizinische, nicht die wirtschaftliche Notwendigkeit ab. Führt beispielswiese ein Arzneimittel rascher zur Genesung, während ein anderes, kostengünstigeres eine längere Behandlung erfordert, kann eine Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung für das teurere Arzneimittel nicht unter Berufung auf die Kosten versagt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede geeignete Methode auch notwendig ist. Die Notwendigkeit setzt neben der Eignung auch eine ärztliche Beurteilung der Vorzugswürdigkeit voraus. Diese muss anhand der ärztlichen Vertretbarkeit, nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen (siehe hierzu OLG München: Medizinische Notwendigkeit von Keramikimplantaten).
Kostenerstattung bei stationären Behandlungen
Das Gesetz differenziert nicht zwischen ambulanten und stationären Behandlungsformen. Der Vorrang ambulanter vor stationärer Behandlung ist im Gesetz nicht verankert. Maßgebend ist allein die medizinische Notwendigkeit. Führt eine stationäre Behandlung zu einer rascheren oder komplikationsfreieren Heilung, so kann sie nicht unter Berufung auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abgelehnt werden. Nur wenn feststeht, dass die ambulante Behandlung ebenso geeignet ist, kann der Versicherungsnehmer auf diese verwiesen werden (siehe hierzu OLG Köln: Medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung). Die Beweislast trägt hier der Versicherer.
Gastbeitrag von Rechtsanwalt Jens Reichow, Partner der Hamburger Kanzlei Jöhnke & Reichow.